Brennpunkt-Seelsorge:

Hör auf dein Herz – Mit Kindern den Glauben gestalten

Interview mit Carolin Schneider

Carolin, du bist Mutter von vier Kindern. Wie habt ihr ihnen die Liebe Gottes vermitteln können?

Zunächst einmal habe ich für sie gebetet, sobald ich wusste, dass ich schwanger bin. Später haben wir versucht, unseren Glauben ganz natürlich in unseren Alltag einfließen zu lassen. Unser Glaube lässt sich von unserem Leben gar nicht trennen und unsere Kinder wurden von Anfang an in diesen Zusammenhang hineingenommen.

Seid ihr nach einem bestimmten Erziehungskonzept vorgegangen?

Als unser erster Sohn Flinn geboren wurde, habe ich relativ viel in Erziehungsbüchern nachgelesen. Die verschiedenen Ratgeber haben mich aber eher verunsichert, so dass ich irgendwann alle Bücher zugeschlagen habe und mir sagte: Ich werde jetzt einfach auf mein Herz hören und es so machen, wie ich es intuitiv für richtig halte. Wir hatten beide gute Vorbilder in unseren Herkunftsfamilien. Es gab kein bestimmtes Konzept, und doch haben sich aus unserem Alltag heraus Rhythmen und Rituale entwickelt, die über Jahre hinweg die gleichen geblieben sind.

Ziel christlicher Kindererziehung ist ja, dass der Mensch sich bedingungslos von Gott angenommen und geliebt weiß. Wie habt ihr das umgesetzt?

Uns war es wichtig, verlässlich für unsere Kinder da zu sein. So stellt sich uns Gott ja auch vor „Ich bin, der ich bin da“. Gerade in den ersten Lebensjahren unserer Kinder wollten wir diejenigen sein, die ihre Entwicklung bewusst miterleben und prägen. Niemand liebt unsere Kinder so, wie wir das als Eltern tun. Darum sind sie erst mit drei Jahren in den Kindergarten gegangen und das auch nur halbtags. Sobald sie sprechen konnten, haben wir viel mit ihnen geredet, über ihre Gefühle und das, was sie beschäftigt. Sie sollten mit allem, was sie bewegt, bei uns landen und es ohne Furcht mit uns teilen können. Sie sollten sich geborgen fühlen und spüren, dass sie immer willkommen sind – außer in meiner Mittagspause. Uns war wichtig, dass die Kinder bei uns eine sichere Basis haben, und dabei jedes Kind die Freiheit hat, auf seine Weise und in seinem Tempo loszuziehen und die Welt zu entdecken. Gleichzeitig gab es klare Regeln und Grenzen.

Eure Kinder sind ihrem Wesen und Charakter nach sehr verschieden.

Ja. Die beiden Großen haben, auch als sie noch klein waren, Glaubensdinge auf unterschiedliche Weise ausgedrückt. Die Rituale in der Familie blieben gleich, aber die Art und Weise, wie sie mit Gott geredet haben, war schon damals verschieden. Heute zeigt sich die Unterschiedlichkeit immer deutlicher. Die fantasievolle Lina kommuniziert ganz anders mit Gott als ihr strukturierter Bruder Flinn. Ihm ist es wichtig, regelmäßig Bibel zu lesen. Das macht er ganz nach Plan oder verabredet sich dazu online mit Freunden. Lina bringt alles, was sie auf dem Herzen hat, so wie es in ihr drin ist und gerade aus ihr herauskommt, zu Jesus und redet mit ihm, als würde er vor ihr sitzen. Beide schreiben ihre Gedanken gerne auf. Manches haben sie vielleicht von uns übernommen, anderes ganz eigenständig entwickelt. Wir überlassen es ihnen und sind gespannt, wie es sich bei Levi und Annelie entwickeln wird.

Eure beiden älteren Kinder sind vielen außerhäuslichen Einflüssen ausgesetzt. Oft beginnen Jugendliche, vieles zu hinterfragen.

Ja, sie haben unterschiedliche Fragen und Daniel und ich antworten mitunter auch unterschiedlich. Wenn ich keine eindeutige Antwort weiß, sage ich ihnen das einfach. Manche Fragen sind nicht leicht zu beantworten und auf manche müssen sie mit der Zeit eigene Antworten finden. Wir versuchen, sie ernst zu nehmen und uns auf eine wertschätzende Weise mit ihnen auseinanderzusetzen. Und anders herum hinterfragen wir auch ihr Verhalten. Unser aktuelles Thema: „Denkt ihr, es ist okay, den Streaming-Account von euren Freunden kostenlos zu nutzen?“
Darüber hinaus sind wir sehr dankbar, dass es außer uns andere Vorbilder gibt, zum Beispiel Jugendleiter, an denen sie sich orientieren können.

Ihr gebt euren Kindern viel Freiheit?

Das lässt sich nicht so pauschal sagen. Es gibt Bereiche mit sehr klaren Grenzen und Absprachen. In anderen Bereichen haben die Kinder viel Gestaltungsraum. Je älter sie werden, desto mehr versuchen wir zu vertrauen, dass das Fundament, in das wir investiert haben, trägt. Wir üben, loszulassen, auch wenn uns das nicht immer gelingt.

Manche Jugendliche überraschen ihre Familie am Sonntagmorgen mit der Feststellung: „Heute gehe ich nicht mit in den Gottesdienst.“ Wie geht ihr damit um?

Tatsächlich gab es bei uns bisher keinen wirklichen Aufstand in dieser Richtung. Wenn eines unserer pubertierenden Kinder mal ausschlafen wollte, haben wir einfach Okay gesagt, weil wir wussten, dass das kein grundsätzliches Dagegensein bedeutet. Unsere Kinder haben in der Gemeinde gute Freunde, auf die sie sich jeden Sonntag freuen. Es war uns immer wichtig, eine Gemeinde zu haben, in die unsere Kinder gerne mitgehen. Wir wollten ihnen frühzeitig gute, prägende Gemeinschaftserfahrungen ermöglichen.

Mehr als durch viele Erklärungen lernen die Kinder den Wert der Frömmigkeit durch das Beispiel der Eltern.

Das denke ich auch. Sie beobachten uns und manchmal hinterfragen sie auch unser Tun, wenn sie den Eindruck haben, dass es nicht mit unserem Reden übereinstimmt. Bei unserer Kleinsten sieht man am deutlichsten, wie sie uns nachahmt. Sie faltet vor dem Essen sogar die Hände genauso wie wir. Außerdem gibt es weitere Rituale, die unsere Kinder prägen. Vor dem Schlafengehen lassen wir mit den jüngeren Kindern den Tag Revue passieren, beten und singen mit ihnen. Die beiden Älteren wollten irgendwann nicht mehr dabei sein. Ich glaube, sie haben ein eigenes Ritual für sich gefunden. Neben dem Gottesdienst am Sonntag feiern wir auch die christlichen Feste und sprechen mit unseren Kindern über deren Bedeutung. Ab und zu feiern wir am Samstagabend eine Sonntagsbegrüßung. Unsere Kinder erleben, dass Daniel und ich uns morgens immer mit „Stiller Zeit“ abwechseln und uns diese Zeit gegenseitig ermöglichen, während der andere mit den Kindern frühstückt. Familienandachten haben wir nie gehalten. Im Lockdown fragte Flinn von sich aus, ob wir morgens vor der Schule zusammen beten und einen kurzen Lobpreis machen können. Das haben wir dann gemacht, weil die Kinder das wollten.

Wie erlebst du den Glauben deiner Kinder?

Mir ist wichtig, dass meine Kinder nicht mir zuliebe glauben, sondern eine eigenständige Beziehung zu Gott entwickeln. Sie sollen eigene positive Erfahrungen machen können. Ich bete oft spontan mit unseren Kindern, wenn ich spüre, dass sie etwas auf dem Herzen haben. Dann nehme ich mir Zeit, setze mich zu ihnen und schlage ihnen meist folgendes vor: „Sag das jetzt einfach Jesus, bring es ihm und hör mal, was er dir sagt.“ Kinderherzen sind so offen zu Gott hin. Dadurch haben sie die Möglichkeit, eine persönliche Erfahrung mit Jesus zu machen. Ich ermutige sie, das Gehörte ernst zu nehmen.

Trotz Versagens und vieler Fehler, die Eltern machen – das Wichtigste, was wir unseren Kindern weitergeben können, ist, dass wir als Eltern zusammenhalten. Ist das auch eure Erfahrung?

Das werden wir unsere Kinder fragen müssen, wenn sie mal erwachsen sind. Aber ja, schon dadurch, dass wir (durch die Ehe) miteinander verbunden sind, sind wir eine Einheit. Das schließt natürlich nicht aus, dass wir in manchen Dingen unterschiedlicher Meinung sind und uns streiten. Wir verbergen das nicht vor unseren Kindern, auch wenn wir manche Konflikte bewusst nicht vor ihnen austragen. Bei manchen Auseinandersetzungen sind die Kinder unvermeidlich dabei, im Auto oder am Mittagstisch. Es gab auch Momente, wo die Kinder ängstlich nachgefragt haben: „Trennt ihr euch jetzt?“ „Nein, auf gar keinen Fall. Es gehört zum Leben dazu, in Beziehungen auch mal unterschiedlicher Meinung zu sein und zu streiten.“ Ich finde es gut, dass unsere Kinder das miterleben, aber ebenso, dass wir uns wieder versöhnen. Dasselbe gilt auch bei Auseinandersetzungen mit den Kindern. Ich habe mich schon sehr oft bei ihnen entschuldigen müssen. Einheit heißt nicht, immer einer Meinung zu sein, auch wenn ich das gerne so hätte.

Ihr lebt euren Glauben recht offen. Trauen eure Kinder sich, zu ihrem Glauben zu stehen und darüber zu reden?

Auch da sind sie verschieden. Flinn ist total offensiv, redet in großer Freiheit über das, was er glaubt und steckt andere damit an. Auch Lina ist auf ihre Art missionarisch, aber in Gruppen ist sie generell zurückhaltend. Sie kann gut ihre Gefühle ausdrücken, schreibt gerne und gibt auf diese Weise ihre Überzeugungen in Gedichten oder Kurzgeschichten, die sie für die Schule schreiben muss, weiter. Levi redet auch hin und wieder mit seinen Freunden über Gott, so wie es seinem Alter entspricht. In unserer Region – hier im Nordosten der Bundesrepublik – wissen viele Kinder vom christlichen Glauben gar nichts mehr und haben dadurch eine ganz andere Offenheit, sich davon ansprechen zu lassen. Ich bete, dass unsere Kinder in ihrem Umfeld „Salz und Licht“ sein können und dass sie durch ihr Da-Sein etwas verändern. Es bleibt ein Geschenk, wir haben es nicht in der Hand.

Was wünscht ihr euch für eure Kinder?

Zuallererst wünschen wir ihnen, dass sie unverlierbar in ihrem Herzen behalten, dass sie bedingungslos geliebt sind – unabhängig von ihrer Leistung und unabhängig davon, was andere über sie denken und sagen. Einer der Texte von Lina endet mit dem ermutigenden Zuspruch: „Du bist genug, egal, was du hast; egal, was du hast, aber nicht willst; egal, was du nicht hast: du bist genug! Du – bist – genug!“ Wir wünschen ihnen, dass sie Jesus so sehr kennengelernt haben, dass sie die Freude daran behalten, mit ihm in einer lebendigen Beziehung zu bleiben und gemeinsam mit ihm weiterzugehen: ihre Sorgen und Ängste, ihre Freude und ihren Dank mit ihm teilen und immer wissen, dass sie mit allem, was sie bewegt, bei ihm an der richtigen Adresse sind. Wir wünschen ihnen, dass sie offen sind für die Menschen, die ihnen begegnen und für die Nöte in der Welt. Wir hoffen, dass das, was sie bei uns erfahren haben, ihnen hilft, über sich selbst hinauszudenken und dass Gottes Wille sich in ihrem Leben erfüllt.

Flinn und Lina kommen zum Interview dazu:

Flinn, wie hast du Glauben gelernt?

Regelmäßig in den Gottesdienst zu gehen und dabei mit anderen in meinem Alter zusammen zu sein, hat mir Spaß gemacht. Es war aber nicht so sehr der Sonntagsgottesdienst oder Weihnachten, sondern der Glaube wird von Mama und Papa wirklich gelebt. Wir haben vor dem Essen und vor dem Schlafengehen gebetet und gesungen. Wir haben als Kinder mitbekommen, dass unsere Eltern mit anderen über den Glauben geredet haben, z. B. im Hauskreis. Auch bei Oma und Opa war der Glaube immer ein Ding, bei Verwandtschaftsbesuchen haben wir immer miteinander gebetet und gesungen. So wie es morgens, mittags und abends was zu essen gab, hat das einfach dazugehört. Vor kurzem wurden wir auf die rechtmäßige Nutzung von „Netflix“ angesprochen, dass ich, wenn ich den Nutzungsbedingungen nicht entspreche, von der Bibel her ja betrüge. Darüber habe ich nachgedacht, über Lüge und Ehrlichkeit. Das alles nimmt man natürlich auf und so bildet sich der Glaube. Wenn man so in der Bibel liest, kommen natürlich auch Fragen oder Zweifel auf. Die Teilung des Roten Meeres lässt sich nicht rational erklären. Mein Pastor hat in einer Predigt dazu ermutigt, dass man Zweifel auch zulassen soll; es ist erlaubt, Gott zu hinterfragen. An dem Punkt, dass ich nicht mehr an Gott glaubte, bin ich noch nie gewesen.

Lina, du redest mit Jesus wie mit einem Freund. Wo hast du das gelernt?

Gelernt habe ich das nicht. Aber da wir abends regelmäßig miteinander gebetet haben, habe ich es dann einfach alleine weitergemacht. Wenn ich am Abend das Vaterunser gebetet habe, frage ich Gott, ob er mir noch etwas sagen möchte. Dann höre ich solche Sachen wie „Du bist genug!“, „Ich finde dich toll!“, etc.

In der Schule seid ihr, was den Glauben angeht, eher die Ausnahme. Fühlt ihr euch als Außenseiter?

Lina: Dass ich mich manchmal allein fühle, liegt eher daran, dass ich einfach ein schüchterner Mensch bin. Aber das hat nichts mit meinem Glauben zu tun.

Flinn: In meiner Klasse wissen eigentlich alle, dass ich Christ bin. Ich habe immer offen darüber geredet, mit allen, auch wenn sie nicht gläubig sind. Einige engagieren sich heute mit mir im Jugendgottesdienst.

Wenn ihr später selber mal Familie habt, was würdet ihr anders machen?
Nichts. Meine Eltern haben einfach ihren Glauben gelebt und das würde ich später genauso machen wollen.

Die Fragen stellte Rudolf M. J. Böhm

Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2021: Familie – Raum der Bewahrung und der Bewährung
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