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Vertrauen wagen

Fünf Vertrauensübungen für jeden Tag

Matthias Casties – Was immer man regelmäßig ausüben möchte, es braucht Klarheit über das Was und über das Wie. Welche Schritte kann ich ganz praktisch in meinem Tag gehen, wenn ich lernen will zu vertrauen.

WAS: Vertrauen wagen, glauben ist der zentrale biblische Begriff, der die Beziehung von Mensch und Gott beschreibt. Im Vertrauen liegt Freiheit, denn ich kann vertrauen oder auch nicht. Im Vertrauen steckt Bindung, denn vertrauensvoller Gehorsam lässt sie konkret werden. Wenn es wahr ist, dass Christus auferstanden ist, er lebt und uns sein unvergängliches Leben schenken möchte, dann ­geschieht Veränderung, wenn wir „seine Strahlen fassen und ihn wirken lassen“ (EG 165).
Vertrauen setzt Beziehung voraus. Vertrauen kann ich immer nur zu jemand hin. Zu Gott hin: weil ER mich liebt, kann ich ihm vertrauen. Zu mir hin: wo ich mich liebe, glaube ich an mich. Zu meinem Nächsten hin: wo wir in Beziehung stehen, vertrauen wir einander. Sogar zur Zukunft hin: wo ich Gott vertraue, vertraue ich seiner Zukunft mit mir und kann so an meine eigene Zukunft glauben.
Vertrauen klingt zusammen mit Treue, Wahrhaftigkeit, Zuverlässigkeit und ist im Blick hin zu Gott eine Quelle großer Zuversicht.

WIE: Und wie ziehen diese großen Gedanken in meinen Alltag ein? Es braucht dazu tägliche praktische Schritte der Einübung.
Ich biete hier meine Best-of‘s an. Das sind An­regungen, die ich von geistlichen Vorbildern übernommen habe und die sich seither bewährt haben. Im Tun eröffnen sie ihre Kraft, Neues kommt ins Leben, Freude und tieferes Vertrauen wachsen.

Lebendige ErINNErung

Bei Friso Melzer habe ich gehört, dass im Englischen das Auswendiglernen von Texten „learning by heart“ heißt. Eine passende Beschreibung für den Zugewinn – das Herz lernt Neues. Ob Taufspruch, Konfirmationsvers oder Texte geistlicher Menschen, wie die Gebete um den Heiligen Geist von Hrabanus Maurus oder Stephan Langton, durch Auswendig­lernen können wir diese Texte zu uns sprechen lassen. Wenn ich z. B. nicht mehr einschlafen kann, kann ich, statt Sorgen und Befürchtungen zuzuhören, auch das Programm wechseln und Verheißungen mein Herzensohr schenken. Das macht einen Unterschied. Auch in herausfordernden Momenten kann mir eine solche Textpassage in den Sinn kommen, ich habe sie ja inwendig. Sie weitet mir inmitten meines Lebens meine Sicht auf den Stand der Dinge, auf das, was zählt. Gottes Gegenwart und mein Vertrauen in ihn fallen mir leichter, verbinden sich mit guten Erfahrungen und vertiefen mein Vertrauen.

Stille mit einem leeren Stuhl

Von Brennan Manning habe ich die Anregung, meine Stille Zeit vor einem leeren Stuhl zu gestalten und mir so Jesu Gegenwart ganz bildhaft vor Augen zu führen. Diese Unmittelbarkeit hilft mir. Sie hilft, ehrlich zu beten, zu warten. Manchmal frage ich mich, wie schaut Jesus mich jetzt an? Was höre ich? Teresa von Avila ermutigt, mit Gott zu reden wie mit einem Freund. Ich denke an Gespräche mit Freunden und dann bestärkt mich diese Erfahrung darin, dass Jesus mir noch viel tiefer Freund ist, als es meine Freunde in ihren besten Momenten sein können. Gerne schreibe ich auf, was mir da in den Sinn kommt und schaue, was daraus wird. Mein Vertrauen in diese Beziehung wächst.

Eingebungen folgen

Bill Hybels erzählte mal von seinen Erfahrungen mit spontanen Eingebungen. Und von dem Mut, den es braucht, diese in die Tat umzusetzen. Das kann eine Aktion mit einem Menschen sein, die Initiierung eines Gesprächs, eine neue Idee für meinen beruflichen Kontext…

Meist sind es Alltagsmomente, unter der Dusche, auf einer Motorradtour, plötzlich ist eine solche Eingebung da. Ich kann sie aufschreiben und es wagen, sie umzusetzen. Damit habe ich viele gute Erfahrungen gemacht und viel Segen erfahren. Ich kann nur empfehlen, das selbst mal auszu­probieren und darauf zu vertrauen, dass daraus etwas Gutes entstehen kann.

So tun als ob

Kaum ein Satz hat mir mehr gute Erfahrungen geschenkt, als dieser von C.S. Lewis aus seinem Buch „Pardon, ich bin Christ“. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Ich mühe mich im Blick auf einen Mitmenschen. Und ich entscheide: Jetzt tue ich mal als ob: Als ob ich in der Lage wäre, wie Christus freundlich auf ihn zugehen. Schon im Tun merke ich, wie sich meine Stimmung hebt. Oft ­erlebe ich mich Jesus hier nah, denke, jetzt lächelt er mir zu. Das macht es noch schöner. Ich erlebe auch „ich kann das“, ich kann anders handeln. Das stärkt und ermutigt. Ein kleiner Satz, eine große Wirkung.

Ins große Bild kommen

Pater Reinhard Körner sagte immer wieder: „Gott ist viel größer als unsere Vorstellungskraft.“ Genau das ist unsere Chance. Was ist real, was tragfähig, was vertrauenswürdig? Hier trifft das Gummi die Straße, hier zeigt sich, welcher Handlungsspielraum uns zur Verfügung steht.
Ich erinnere mittlerweile viele Momente, in ­denen Jesus mich, wie einst Petrus im Sturm auf dem See, ins Wagnis rief. Das Boot meiner Erfahrungswelt verlassend, erlebte ich neue Wirklichkeiten, meine Grenzen und seine Treue.
Keine dieser Erfahrungen will ich missen und ­alle führen zu einer Erkenntnis: Mit diesem Herrn ist mehr möglich als ich bisher für möglich gehalten habe.
Durch diese geglückten Wagnisse vergrößert sich meine Wahrnehmung der Möglichkeiten. Und ich erkenne mehr, was wahrhaft zählt. Das meine ich mit „ins große Bild kommen“.

Nach so einer neuen Erfahrung habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, sie möglichst frisch in das Logbuch meiner Erlebnisse zu schreiben: mein Stille Zeit Buch. Von Zeit zu Zeit lese ich diese Erlebnisse nach und die Momente leuchten erneut. Allein das schenkt mir Zuversicht.

Ich kann Sie nur ermutigen, diese Übungen selbst mal auszuprobieren. Mit diesen fünf ganz praktischen Schritten kann auch bei Ihnen viel in Bewegung kommen.
Ich sagte bereits: Vertrauen setzt Beziehung voraus. Vertrauen kann ich immer nur zu jemand hin. Wenn ich das aktiv einübe, kann sich Neues ausbilden, kann Vertrauen zu Gott hin wachsen, zu mir, zum Nächsten.

Das zu erleben ist etwas sehr Beglückendes und macht unseren Alltag zum schönsten Ort, an dem wir sein können. Nicht immer, aber immer öfter.

Matthias Casties (OJC) gehört zum Liturgieteam der Kommunität und zum pädagogischen Team vom Erfahrungsfeld Schloss Reichenberg. Er ist Prädikant in der EKHN.

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Brennpunkt-Seelsorge 1 / 2023: Ganz im Vertrauen
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