… und jeder Tag kann wie ein neues Leben beginnen  – Rückkehr zur ersten Liebe

Ich fege auch den erloschenen Vulkan, sagt der kleine Prinz, man kann nie wissen.

Als ich 1980 mein Studium abgeschlossen hatte, trat ich mit großem Idealismus meine erste Berufsstelle an. Ich setzte mich leidenschaftlich für die Menschen in ihrer Not ein. Doch im Verlauf der Jahre wurde ich ernüchtert – sowohl über die Menschen als auch über mich selbst. Meine Arbeit empfand ich nur noch als mühsam.

Mit der menschlichen Liebesfähigkeit verhält es sich ganz ähnlich. Im Grunde ist es immer gleich: Wir sind begeistert von dem, was uns tief angesprochen hat. Doch mit der Zeit nutzt es sich ab, und was anfänglich schön war, wird zur Bürde.

Zuerst bricht etwas auf, weil ich etwas Vielversprechendes – eine Person, eine Aufgabe, Gott – gefunden habe. Jetzt wird alles anders! Das ist wie beim Verliebtsein. In der ersten Liebe nimmt man Anstrengungen auf sich, ohne sie anstrengend zu finden, räumt mit Unbekümmertheit Hindernisse aus dem Weg, entdeckt bei sich und beim anderen ungeahnte Reserven.

In der Verfassung der ersten Liebe ist man begeistert, radikal, mutig. Da erlebt man sich vom anderen – vom Partner, von Jesus, von Freunden, aber auch von einer Aufgabe, einem Ort, einer Idee – ungeheuer beschenkt und tut intuitiv, was den anderen aufbaut. Da ist man sich seiner eigenen Liebe und der Liebe des anderen so sicher, dass man nicht ständig Beweise braucht; man übersieht die Schwächen und Fehler des anderen nicht nur, sondern hilft, sie zu überwinden – und lässt zu, dass der andere das auch bei mir macht. Man hat den Mut, ehrlich zueinander zu sein. In der Verfassung der ersten Liebe erlebt man sich völlig anders als je zuvor.

Diese erste Liebe zu einem Menschen oder zu Gott hat eine verwandelnde Kraft. Sie ist aufrichtig und ehrlich und erscheint dem, der das noch nicht erlebt hat, unrealistisch.

In der Offenbarung des Johannes steht eine interessante Stelle über die „erste Liebe“:

Ich kenne deine Werke und deine Mühe und dein Ausharren … Du hast ausgeharrt und um meines Namens willen Schweres ertragen und bist nicht müde geworden. Ich werfe dir aber vor, dass du deine erste Liebe verlassen hast.  Bedenke, von welcher Höhe du gefallen bist. Kehr zurück zu deinen früheren Werken! (Off 2, 2-5)

Dieses Wort, das die Verfassung einer der urchristlichen Gemeinden Gottes schildert, beschreibt genau, was wir immer wieder in unseren Beziehungen wahrnehmen. Selbstverständlich ist es möglich, dass eine erste Liebe ein Leben lang durchträgt. Aber die immer wieder erfahrene Realität ist nicht die radikale Abkehr, sondern sehr viel Anstrengung und treues Bleiben. Etwas fehlt. Ein Mangel, dem man sich nie so einschneidend bewusst wird, wie in dem Augenblick, wo etwas an die erste Liebe erinnert, ein Lied, ein Bild, ein Parfüm.

Liebe im Alltag

Was ist passiert? Wurde das Selbstverständliche zu selbstverständlich? Es kann sein, dass Alltag und Routine die Beziehung verschlissen haben oder man selbst hat sie zu wenig gepflegt. Vielleicht wurden Entfernungen – räumliche, zeit­liche, interessenmäßige – schlecht überbrückt oder Veränderungen nicht ausgehalten. Oder da war doch ein radikaler Bruch. Zuneigung hat sich in Abneigung verwandelt, Mitleid in Verachtung. Es gibt Verletzungen und Demütigungen. Schuld ist im Spiel, eigene oder fremde oder beides. Was ist zu beachten, um die Liebesfähigkeit nicht von solchen Erfahrungen grundlegend blockieren zu lassen?

Die schwerste Belastung der Liebe ist Enttäuschung. Enttäuschungen lassen Frustration oder Aggression wachsen oder provozieren Selbstschutzstrategien – es soll nicht dauernd weh tun, man sucht Flucht- und Auswege, läuft innerlich davon oder greift grundlos an.

Enttäuschungen sind besonders hart – und besonders häufig – in der allerersten Liebe. Weil das Erlebnis so tief und das innere Engagement so total ist, ist der Absturz in der Enttäuschung umso gravierender. Und niemand kann uns so tief verletzen wie jemand, den wir lieben, oder jemand, der uns als Repräsentant einer mit Liebe und aus Liebe erfüllten Aufgabe entgegentritt. Denn Liebe ist ja der Vorgang, der uns bis in die tiefen Schichten erfasst – und auch bis in tiefe Schichten verwundbar macht.

Enttäuschungen im Alltag

Es gibt vier Bereiche von Enttäuschungen, die die erste Liebe beeinträchtigen: Enttäuschungen an Verhältnissen, an Menschen, an Gott und an sich selbst. Letztes ist erfahrungsgemäß immer die schwerste.

Wie umgehen mit enttäuschenden Verhältnissen?

Man kann sich an ihnen wundreiben oder sich entscheiden, in ihnen seine Berufung zu leben. Das gelingt, wenn wir uns bemühen, in unseren Lebensverhältnissen den Anruf Gottes zu erkennen.

Nach christlichem Verständnis gründet die Würde der Arbeit darin, dass sie aus der Liebe geboren ist und der Liebe Ausdruck gibt. Als Nachfolger Christi wissen wir, dass Gott uns auf der Erde unseren Platz zugewiesen hat, aus Liebe und weil wir die Erben seiner Verheißung sind: Ob ihr also esst oder trinkt oder etwas anderes tut: tut alles zur Verherrlichung Gottes (1 Kor 10,31).
In einer Lebensbeschreibung las ich: „Sie ließ sich ein: nicht nur auf das, was sie sich erträumt hatte, sondern auf den konkreten Alltag in all seinen Höhen und Tiefen, der ihre Träume immer wieder durchkreuzte …  Und je mehr sie sich einließ, desto überwältigender begegnete ihr in all dem der Gott, der ganz Liebe ist und sie in seine Liebe hineinnehmen möchte.“ Die erste Liebe wuchs zu einer starken, tragfähigen Liebe, weil es dieser Frau glückte, ihr ganzes Herz und ihre ganze Begeisterung in diesen Verhältnissen zu schenken, aber: nicht diesen Verhältnissen, sondern dem, der sie in diesen Verhältnissen liebt und braucht: Gott, ihrer ersten Liebe.

Enttäuschungen durch Menschen

Enttäuschungen durch Menschen, die man liebt, sind schwer zu verkraften. Was die erste große Liebe verschleißt, sind die vielen kleinen und großen Enttäuschungen. Der ideale Partner offenbart Schattenseiten, die mir mehr und mehr auf die Nerven gehen. Man kann nicht mehr mit vollem Einsatz und aufrechter Liebe seinen Dienst tun, weil die Kollegen menschlich und oft auch fachlich so enttäuschen.

Die Möglichkeit, die Enttäuschung durch einen Menschen zu überwinden, wird manchmal in einer ganz konkreten Situation gegeben. Es ist wichtig, solche Momente nicht zu verpassen, denn sie signalisieren etwas Entscheidendes: die scheinbar „verbrauchte“ erste Liebe ist noch da und wartet darauf, wieder lebendig werden zu können.

Enttäuschungen mit Gott

Manche Erfahrungen machen es schwer, an einen liebenden Gott zu glauben oder eine persönliche Beziehung zu ihm aufrechtzuerhalten. Weil Gott uns durch Menschen an sich zieht, können wir besonders durch Menschen von ihm enttäuscht sein. Immer wieder begegne ich Menschen, die von den Repräsentanten Gottes auf dieser Erde, Eltern, Pfarrer, Menschen in der Gemeinde besonders tief enttäuscht worden sind und diese Erfahrung auf ihre Beziehung zu Gott übertragen. Hier liegt unsere Verantwortung – und auch die Grenze unserer Verantwortung. Christen können und brauchen nicht perfekt sein. Aber für viele ist genau das der Stolperstein in ihrer Beziehung zu Gott.

Dann gibt es aber auch die Enttäuschung, die Gott uns direkt zuzufügen scheint, weil er Unrecht und Leid bestehen lässt. „Ich glaube lieber an einen Gott, der die Menschen liebt, aber in ihr Leben nicht eingreift, als an einen, der uns persönlich führt und die einen beschenkt und die anderen elend zugrunde gehen lässt“, sagte ein Theologiestudent. Die Unbegreiflichkeit Gottes und seines Handelns übersteigt manchmal die Tragfähigkeit der Liebe zu ihm.

Enttäuschung von sich selbst

Die Enttäuschung von uns selbst setzt uns am härtesten zu. Enttäuschungen an Verhältnissen, an Menschen, an Gott sind Beziehungsenttäuschungen, und ich bin Teil jeder Beziehung. Irgendwann ist man in seiner ganzen Liebes- und Begeisterungsfähigkeit blockiert. Es fällt schwer, daran zu glauben, dass sich noch einmal etwas ändern wird. Womöglich gewöhnt man sich so daran, dass man es nicht nur nicht für möglich, sondern für unnötig hält, noch einmal ganz neu anzufangen.

Von der Liebe, die wieder erwachen kann

In der ersten Liebe zu lieben ist kein Kunststück. Das eigentliche Kunststück ist, in der Kraft enttäuschter Liebe zu lieben, so unkompliziert, selbstverständlich und begeistert wie in der ersten Liebe, und gleichzeitig weiter und tiefer, weil die Kraft aus dem neuen Anfang dazukommt. Solche Liebe ist ehrlich und aufrecht. Man tut nicht so, als ob alles perfekt wäre, sondern lässt sich ein auf eine Liebe, die immer neu anfangen will. Ganz konkret heißt das: Ich lasse mich ein auf das Wissen um Enttäuschungen. Enttäuschungen gehören im Leben dazu, sie sind passiert und werden immer wieder passieren. Ich mache mir nichts vor: Ich werde meine Liebe nie vollkommen leben. Gerade weil ich um meine Schattenseiten weiß, will ich täglich neu anfangen.

Eine Ostererfahrung

„Ich besitze drei Vulkane“, sagt der kleine Prinz, „die ich jede Woche fege. Denn ich fege auch den erloschenen. Man kann nie wissen …“ Der erloschene Vulkan kann wieder ausbrechen. Die erste Liebe kann wieder erwachen, eine durch Enttäuschung abgekühlte Liebe wieder entfacht werden – aber das können wir nicht machen. Denn dazu braucht es mehr als natürliche Verliebtheit. „Der liebt, der aus Gott die Liebe in sich schöpft“ sagt Meister Eckhard, ein mittelalterlicher Mystiker. Eine Erfahrung enttäuschter, wieder erwachter Liebe ist eine Ostererfahrung, Auferstehungs­erfahrung. Etwas wird da vorweggenommen, was im Ostergeschehen als Versprechen jedem gegeben ist: Siehe, ich mache alles neu.

Ich fange neu an und warte nicht auf den anderen! Dabei geht es nicht um ein einmaliges Sich-Einlassen auf die Realität der Enttäuschung, auch nicht um einen einmaligen Neuanfang, sondern bedeutet, dass es immer wieder nötig, aber gerade darum auch immer wieder möglich sein wird. Ich fange wieder an, mit mir, mit dem andern – nicht obwohl, sondern weil ich weiß, dass es neue Enttäuschungen geben wird. Ich lebe nicht nach dem Motto: „Wie du mir, so ich dir!“ Natürlich muss ich mir nicht alles gefallen lassen! Aber die Liebe gibt unerwartete, manchmal umwerfende Antworten. Die Liebe, die Gott uns durch Jesus Christus erweist, macht uns fähig, auf Böses mit Liebe zu reagieren. „Wie Gott zu mir, so ich zu dir.“ Wer von der Liebe Christi geprägt ist, kann auf Angriff mit Zuwendung reagieren. Da können wir wahre Wunder erleben.

„Ein Geheimnis eines erfüllten Lebens“, sagt Karl Rahner, „ist, keinen Abend zu Bett zu gehen, ohne jedermann verziehen zu haben – auch sich selbst.“ Abgewandelt könnte das heißen: keinen Abend ins Bett gehen, ohne den Entschluss und die Zuversicht, am anderen Morgen neu anfangen zu können. Was uns dabei trägt: Da ist einer, der bereit ist, mit mir morgen wieder neu anzufangen, vorbehaltlos und bedingungslos. Einer, der seinen eigenen Sohn in Tod und Auferstehung gegeben hat, um mit allen Menschen neu anfangen zu können.

Enttäuschungsmanagement im Alltag

Kehre zurück in deine erste Liebe. Was in diesem Satz der Heiligen Schrift so lapidar gesagt wird, erfordert eine ganze Psychologie der Liebe: Die Liebe soll wieder erwachen. Und was in der ersten Liebe das Einfachste war, ist das Schwierigste bei dem Versuch, sie wieder zu wecken. Ursprüngliche, spontane Liebe sucht unwillkürlich Ausdrucksformen, damit sie wächst. Das drückt sich in vier auf einander bezogenen Weisen aus.

Hindernisse aus dem Weg räumen

Ich frage mich: Wo gibt es ein Hindernis?  Lässt sich dieses Hindernis beseitigen? In der Verfassung der ersten Liebe hat man ein beinahe unerschütterliches Verständnis für die Fehler des anderen. Um die Liebe neu zu entfachen, kann ein konkreter Schritt sein, einen Fehler nicht an die große Glocke zu hängen, sondern zu übergehen oder zu übersehen.

Beieinandersein-Wollen

Das ist etwas völlig Selbstverständliches im Zustand der ersten Liebe. Aber auch wenn das Wollen nicht mehr da ist, ist äußeres oder inneres Beieinandersein ein Mittel, die Liebe neu zu entfachen. Das „Wollen“ wird dann ersetzt durch meinen Einsatz dafür.

Mich beschenkt erleben

Im Zustand der ersten Liebe fühlt man sich durch den anderen ständig und intensiv beschenkt. Hat sich dieses Gefühl verflüchtigt, kann die bewusste Entscheidung, den anderen wieder als Geschenk zu entdecken, meine Liebe neu entfachen.

Mich den anderen etwas kosten lassen

Meinungsverschiedenheiten, Missverständnisse, Unverstandensein sind oft die Ursache für den Zusammenbruch des Familienlebens. Sie können zum Ausdruck von Liebe werden: Gutes tun, auch wenn keiner es beachtet. Unerfüllte Erwartungen nicht einklagen. Mein Kreuz des Alltags auf mich nehmen und froh tragen.

Enttäuschungen in Liebe zu verwandeln, jeden Tag neu, ist ein Weg, der neue Kraft freisetzt. Dieser Prozess übersteigt natürliches Lieben bei weitem, ist ein Vorgang, in dem Gottes Liebe mit meiner Liebe verbunden wirkt. Wer sich auf diesen Weg einlässt, entwickelt darin mit der Zeit eine überraschende Fertigkeit. Es ist „die Fähigkeit der Liebe, das Göttliche im Menschen zu finden“ (Augustinus).

Wir Christen haben einen sicheren Halt! Mein sicherer Halt ist Gott. Wenn alles andere zusammenbricht, der steht. Ich kann am Morgen sagen: „Hallo, da bin ich wieder. Geh mit mir in den Tag“, und am Abend: „Du, ich kann nicht mehr … nimm du das ganze Paket dieses Tages, die Sorgen und den Stress. Wenn du es mir jetzt abnimmst, kann ich es morgen wieder angehen.“

Diesen sicheren Halt brauche ich, damit ich an allen anderen Fronten kämpfen kann.  Diesen letzten sicheren Halt darf ich nicht aufs Spiel setzen. Denn wenn die Beziehung, die emotional am stärksten ist, wackelt, brechen leicht alle anderen Bezüge auch ein. Umgekehrt: Wenn die emotional stärkste Beziehung steht, lassen sich Beziehungskrisen an anderen Fronten leichter ertragen.

Mit anderen Augen sehen

In einem Gedicht von Hilde Domin heißt es: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten.“ Dazu schreibt sie: „Das Wunder besteht für mich darin, nicht im Stich zu lassen, sich selbst nicht und andere nicht und nicht im Stich gelassen zu werden.“

Wenn der Heilige Geist uns erfüllt, dann fangen wir an, Menschen anders zu sehen, mit den Augen Gottes. Für Gott ist jeder Mensch kostbar, und das ist nicht zerstörbar durch seine Fehler und Sünden. An das Gute im Anderen glauben ist möglich, weil jeder Mensch als Ebenbild Gottes erschaffen ist. Dieser Glaube ist nicht machbar. Aber wir können ihn uns schenken lassen. Gott ist jeder Mensch heilig, auch in seinen dunklen Seiten, auch da, wo dieser Mensch ganz andere Wege geht, als es gut wäre.

Es ist ein großes Geheimnis unseres christlichen Glaubens, das wir nie ausschöpfen werden: Für Gott ist der Mensch, trotz seiner Grenzen, ein „schöner Ort“. Gott sieht die Sehnsucht, gut zu sein, er sieht die Möglichkeiten, besser zu werden. Wenn der Heilige Geist uns erfüllt, fangen wir an, einander aus der Perspektive Gottes zu sehen. Dann fällt uns immer öfter das Gute beim andern ins Auge, und wir nehmen bei allem Dunkel auch das Licht wahr, das vielleicht gedämpft, aber nicht ausgelöscht ist, weil es aus dem unverbrüchlichen Ja Gottes zu jedem Menschen kommt.

Wer es sich zur Grundhaltung macht, die guten Kräfte im anderen zu sehen, wird mit etwas Übung immer mehr entdecken. Und wenn wir in diesem Ringen um Positives an unsere Grenze stoßen, muss der Heilige Geist uns weiterhelfen. Es genügt, sich an ihn zu wenden und zu bitten: „Komm herab, o Heil’ger Geist … komm, der jedes Herz erhellt.“ Er wird es tun. „Durch Ihn, mit Ihm und in Ihm“ liebt es sich leichter. Auch sich selbst.

Wir tragen schwer an Fehlern unseres Lebens, die nicht wiedergutzumachen sind und leben in einer Atmosphäre der Selbstverurteilung: „Das kann ich mir nicht verzeihen.“ Mit guten Worten ist da nichts zu machen. Mithilfe des Heiligen Geistes entsteht die Erfahrung, die der erste Johannesbrief so umschreibt:

Wenn das Herz uns auch verurteilt, Gott ist größer als unser Herz.

Gott vergibt und lässt Dinge, die nicht mehr gut zu machen sind, sich zum Guten wenden. Aus dieser Erfahrung heraus fangen Menschen an, bei sich zu Hause zu sein und zugleich bei Gott, der auf einmal ganz anders erfahren wird: als der Gütige, der, der nichts will, als uns zu lieben und lieben zu lehren. Es entsteht das Ja zur eigenen Lebensgeschichte, so wie sie ist.

Dann aber auch das andere: Wir fangen an wahrzunehmen, dass wir besser sind, als wir meinen. Und wir nehmen wahr, dass wir besser sein möchten, als wir sind. Die Sehnsucht wächst, stärker zu sein, geduldiger, großmütiger, gütiger. Wir wünschen uns, lieben zu können. Der Heilige Geist nimmt uns keineswegs alle Begrenzungen. Er nimmt uns nicht die Erfahrung, dass uns die Triebkräfte doch immer wieder durchgehen. Im Gegenteil, in seinem Licht wird das alles deutlicher spürbar, manchmal auch schmerzlicher. Er nimmt uns auch nicht in jedem Fall die Angst und andere Engen, die uns behindern. Der Heilige Geist wandelt unsere Liebe: Er lehrt uns, mit unseren Grenzen und Defekten zu leben und zu lieben, so gut wir können.

An der Hand Gottes lernen wir, alles Gott zu überlassen. Was daraus entsteht, nehmen wir im Vertrauen aus seiner Hand, und jeder Tag kann wie ein neues Leben beginnen. Wir wenden uns inmitten des seelischen Schmerzes gütig unseren Aufgaben und anderen Menschen zu. So wird die Angst zur Liebe, auch wenn sie uns nicht unbedingt genommen wird. Der Heilige Geist wandelt uns – nicht zu Supermenschen, die mit der Zeit keine Grenzen mehr haben –  sondern zu Menschen, die die eigene Welt, so klein sie auch sein mag, in einen schönen Ort verwandelt, an dem Menschen sich wohlfühlen und angenommen erleben. Er schenkt die Sehnsucht, mit anderen zu teilen, was wir in seiner Nähe erfahren. Und dann entsteht um uns ein Klima, in dem Menschen wieder fähig werden zu lieben und Freude bekommen am Gestalten einer besseren Welt.

Brennpunkt-Seelsorge 1 / 2020: Von Anfang an
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