Soll es das gewesen sein? – Auf der Suche nach Sinn

Viele Menschen leiden unter einem tiefen Unbehagen, das als Unzufriedenheit mit sich selbst, mit den Mitmenschen und darüber hinaus Gott ­gegenüber erlebt wird. Selbst unter der Oberfläche beruflicher Tüchtigkeit und sozialer Anerkennung empfinden sie ihr Leben als schwere Last. Kürzlich schrieb mir jemand: „Ich spüre ein Loch in mir, eine Leere, alles erscheint mir irgendwie sinnlos. Es kann sein, dass nur Gott es ausfüllen kann, aber ich habe noch nicht bemerkt, dass diese Sehnsucht in mir zum Schweigen gebracht wurde. Ich will Abenteuer, ich will Extreme, will mich selbst spüren. Doch jenes Prickelnde, das mich lockt, sonstwohin zu rennen, finde ich letztlich nur in den verbotenen Dingen. Die endlose Suche nach Ersatzliebe strapaziert und lähmt mich auf Dauer, gefährdet meine Beziehungen und alles, was ich mir bisher mühsam aufgebaut habe.“

Die Sehnsucht…

Vermutlich ist dieses innere Unwohlsein keinem von uns ganz unbekannt. Auf irgendeine Weise können wir den Mangel an Fülle auch in uns entdecken. Nicht jeder hat den Mut, sich und anderen offen einzugestehen: „Mir fehlt etwas wirklich Wichtiges in meinem Leben.“ Das Empfinden dafür kann daher rühren, dass ich den Sinn meines Handelns nicht erkenne, den Wert meines Lebens bezweifle, das Leiden einer geliebten Person nicht vermeiden kann, vergeblich nach einer sinnvollen Aufgabe suche, für die ich mich mit Energie, Freude, Kreativität, Kraft und Liebe einsetzen kann. Aus dem Herzen dringt es wie ein Schrei: „Wieso haben andere Glück und ich gehe leer aus? Wieso finden meine Freunde ihren Platz im Leben und ich nicht? Wieso muss ich dabei zuschauen, dass das Leben an mir vorbeizieht?“

Die meisten Menschen glauben: Wenn sich meine Träume verwirklichen würden, wäre ich froh, glücklich und zufrieden. Wenn wir noch jung sind, sagen wir uns: Wenn ich mit der Schule, dem Studium fertig bin, erfolgreich bin und gut verdiene, mir die Frau/der Mann meiner Träume über den Weg läuft, wir uns ein Haus mit Garten leisten können, vielleicht kommen ein paar nette Kinder – dann, ja dann – werde ich ganz zufrieden sein. Doch was ist mit denen passiert, die all das erreicht haben, und dann mit der Frage konfrontiert werden: „Ich hab’ ja schon alles, was ich immer wollte, aber ich fühle mich deswegen nicht besser. Was ist der Sinn meines Lebens?“

Unsere Sehnsucht lässt sich nicht so leicht stillen. ­Im Unterschied dazu sind unsere Bedürfnisse ­weniger anspruchsvoll: Sie vergehen, sobald sie befriedigt werden. Wenn ich hungrig bin und ­etwas esse, bin ich satt; wenn ich müde bin, schlafe ich und erwache wieder, wenn ich ausgeschlafen bin. Ganz anders ist es beim leidenschaft­lichen Verlangen des Herzens: Es wird umso größer, je mehr es erfüllt wird! Wenn ich eine Um­armung bekomme, die mir guttut, dann ist meine Sehnsucht nach Zärtlichkeit nicht gestillt, sondern ich kann nicht genug davon bekommen. ­Eigentlich müsste man annehmen können, dass das Glück, jemanden gefunden haben, der oder die uns im Leben begleitet, restlos zufrieden macht. Doch das Gegenteil ist der Fall: Unsere Erfahrung mit der menschlichen Sehnsucht ist, dass sie offenbar ins Unendliche hinein wächst. Was ist nur los mit uns? Läuft da irgendwas in uns verkehrt? Man könnte auf die Idee kommen, dass man irgendwie hereingelegt wird. In dem Film ‚Im Auftrag des Teufels’ schreit der Protagonist des Films, der als Anwalt den Teufel verkörpert, ­heraus: „Das ist ja wohl der größte Beschiss aller Zeiten.“

Die Erfahrung zeigt es immer wieder: Das Ersehnte zu bekommen, löscht die Sehnsucht nicht aus. Dichtung, Theologie und Philosophie beschreiben die Sehnsucht als ein brennendes, verzehrendes, unstillbares Verlangen. Wir ersehnen einfach alles: weniger als alles ist nicht genug! Friedrich Nietzsche (1844-1900) hat es in das schöne Wort gefasst: „Denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit.“ Vor 50 Jahren brachten die Rolling Stones die ziellose Unzufriedenheit der Jugendlichen ihrer Zeit zum Ausdruck mit dem berühmt gewordenen Lied: „I can‘t get no satisfaction“. Darin heißt es: „Ich bekomme einfach keine Befriedigung, auch wenn ich es versuche und versuche und versuche…“

… sucht eine Antwort

Angesichts dieser Erfahrung gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es die Antwort auf diese unendliche Sehnsucht oder es gibt sie nicht. Die Antwort besteht nicht darin, dass wir damit aufhören, uns nach etwas zu sehnen. „Sehnsucht stirbt nicht, sie geht in den Untergrund, wan­dert ziellos umher und heftet sich an alles, was einen kurzen Moment des Glücks verheißt“ (B. und C. Gams, „Eine Vision von Liebe“, Kisslegg 2014, S. 106).

Auch wenn uns die Werbung jeden Tag sagt, was wir alles kaufen müssen, um „gut drauf“ zu sein, sagt sie uns doch nicht, was wir brauchen, um Menschen zu sein. Wie viel kostbare Lebenszeit verwenden wir auf das Erlangen von Besitz, Ansehen, äußerer Schönheit und ähnlichem! All das ist nicht schlecht an sich, aber oft stimmt unser Maß nicht. Wenn wir lange genug über die Frage nach dem Sinn unseres Lebens nachsinnen, spüren wir instinktiv, dass sie etwas mit der Frage nach der Liebe zu tun haben muss. In seiner ersten programmatischen Enzyklika „Redemptoris hominis“ formuliert Johannes Paul II. diesen Ur-Hunger des Menschen wie folgt: „Der Mensch kann nicht ohne Liebe leben, er bleibt für sich selbst ein un­begreifliches Wesen. Sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, wenn er nicht der Liebe begegnet, wenn er sie nicht erfährt und sich zu eigen macht, wenn er nicht lebendigen Anteil an ihr erhält.“ Wir sind nicht in der Lage, uns mit weniger als ewiger Liebe zufrieden zu ­geben. Wir können uns nicht damit abfinden, wenn wir nicht ganz, immer und grenzenlos ­geliebt werden und ebenso auch selbst lieben können. Das Maß gerät aus der Balance, sobald wir vergessen, dass wir Kinder Gottes sind, die aus Liebe und für die Liebe geschaffen wurden; die ­gerade deshalb nicht hier ihre endgültige Heimat finden können, weil wir uns nicht selbst geben können, was unser Herz begehrt. Gott hat uns für die Fülle geschaffen, nicht für die Armut.

Erst die Sünde hat uns zu jenen, auf sich selbst zurückgeworfenen Mangelwesen gemacht, als die wir uns so oft empfinden. Denn sie hat unser Beziehungsverhältnis zu Gott verletzt. An unserem Ursprung steht der schöpferische Akt des Gottes, der uns leidenschaftlich liebt. Gott, der die Kostbarkeit unseres Lebens be­stätigt hat, indem Er uns das Seine geschenkt hat. Wenn wir die Gewissheit, bevorzugt zu sein, vergessen, schieben wir die Verantwortung für unsere Befriedigung und unsere Freude auf die anderen ab. In einem der Peanuts Cartoons fragt Lucy Charlie Brown, wozu sie auf der Welt sind. Er antwortet: Um andere glücklich zu machen. Darauf sagt Lucy: „Ich glaube nicht, dass ich jemanden glücklich mache. Andererseits macht mich auch niemand besonders glücklich. Irgend jemand tut da seine Pflicht nicht!“

Die Suche nach einem Schuldigen macht das tägliche Zusammenleben entschieden schwieriger. Damit hat auch die Erpressung auf der Gefühls­ebene zu tun, die viele Paare gegenseitig an ihrer aufrichtigen Zuneigung zweifeln lässt. So kommt es, dass der eine Partner das, was dem anderen fehlt, vervollständigen soll, das Kind seine Eltern auf der Ge­fühlsebene zufriedenstellen muss und die Freunde fürs Wochenende herhalten müssen. Wie viele Beziehungen gehen in die Brüche, weil wir die Antwort auf die Frage, wer uns letztendlich liebt, in einem anderen Menschen suchen. Damit ist der andere komplett überfordert. Der Anthropologe Prof. Dr. Stephan Kampowski sagte in einem Vortrag: „Dies ist das Paradox der Liebe zwischen Mann und Frau – zwei Unendliche ­begegnen zwei Grenzen; zwei unendliche Bedürfnisse, geliebt zu werden, begegnen zwei zerbrech­lichen und begrenzten Fähigkeiten zu lieben. Unser Bedürfnis geliebt zu werden ist unendlich und es ist natürlich fatal, wenn wir die letztendliche Antwort auf dieses Bedürfnis in einem anderen Menschen suchen, weil der andere komplett überfordert ist mit unserem unendlichen Verlangen, unserer unendlichen Sehnsucht. Letzen Endes kann nur Gott unsere Sehnsucht stillen. Wir haben eine ‚Gott­lücke’ im Herzen, mehr noch: ein riesiges Loch, das nur von Gott gefüllt werden kann. Wenn wir diese Erfüllung in einem anderen Menschen suchen, dann ist dieser komplett überfordert und die Beziehung bricht zusammen. Nur vor dem Horizont ­einer größeren Liebe verzehrt sich diese Liebe nicht im Anspruch und resigniert dann, sondern die beiden Liebenden gehen dann gemeinsam auf eine ­Erfüllung zu, für die der andere ein Zeichen ist. Der andere, der andere Mensch, der Freund, der Ehepartner ist für mich ein Zeichen der größeren Liebe Gottes.“

Das Glück…

Meine Frau und ich feierten gerade unseren 41. Hochzeitstag. Manchmal sind wir schon gefragt worden, ob es so etwas wie einen Schlüssel für ­eine gute Ehe gibt. In der Antwort darauf sind meine Frau und ich uns heute einig: Wir sind deshalb glücklich, weil wir gelernt haben, auch ohne den anderen glücklich zu sein. Nach und nach ­haben wir durch viele Kämpfe hindurch verstehen gelernt: Wenn du den Anspruch aufgibst, dass der andere in einer ganzen bestimmten Weise etwas für dich sein oder handeln sollte, dann löst sich alles. Wenn du ihn so akzeptierst, wie er ist, und wenn du auch dich selber so akzeptierst, wie du bist, dann hört der Krieg auf – man bekämpft sich nicht mehr und es beginnt etwas Neues und Unerhörtes: jene Form von Liebe, die sich vom Besitzen-Wollen zu läutern beginnt und die bewirkt, dass der Wunsch, den anderen glücklich zu sehen, größer wird als der, dass man selbst glücklich wird.

Wir können nicht darauf verzichten, auf je­den Fall tief geliebt, erwünscht und angenommen zu sein, doch die Erfüllung bekommen wir letztlich nicht von Menschen, sondern allein aus der Beziehung zu Gott. Wie sind auf ein Ziel hin angelegt, das über dieses irdische Leben hinausgeht. Aus nichts, und sei es das Edelste, Klügste oder Beste, kann ich letztlich wirklich Zufriedenheit erlangen, so­lange nicht auch meine Sehnsucht, geliebt zu sein und lieben zu können, gestillt wird. Denn sie ist mir von Gott in mein Herz eingeschrieben. Auf dem Grund unserer Seele gibt es eine Stimme (es ist unsere Sehnsucht), die uns sagt, dass diese gefallene Welt nicht unser Zuhause ist – dass wir für einen größeren und besseren Ort geschaffen wurden. Unsere Sehnsucht ist nur das Echo der Sehnsucht Gottes nach uns – nach jedem einzelnen Menschen! Sie ist ein Echo der Liebe, die Gott für dich und mich empfindet.
Jeder Mensch ist von Gott geschaffen und für Gott geschaffen. Nichts Irdisches kann jemals unsere übergroße Sehnsucht stillen, einzig der unend­liche Gott. Nur in Gott finden wir unsere Glückseligkeit – dort aber ganz sicher. Im Hohelied der Liebe im 13. Kapitel des Korintherbriefs sagt der Apostel Paulus, nachdem er alles irdisch und sogar religiös Erstrebenswerte aufgezählt hat, das man erreichen könnte: „…hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts“. Oder wie Johannes Maria Vianney, der Pfarrer von Ars, es einmal auf den Punkt brachte:
„Die ganze irdische Welt kann eine für Gott ­geschaffene Seele so wenig sättigen wie eine Fingerspitze voll Mehl einen Ausgehungerten.“

… braucht mein Ja

Wie wir sehen, haben wir es bei diesem Thema mit einem großen Paradox zu tun: Was ich mir am meisten wün­sche, kann ich mir nicht selber geben. Wir haben ein Recht darauf, unsere Wünsche nach Zuneigung, Kreativität und Fruchtbarkeit zufriedenzustellen. Aber wir haben nicht das Recht zu entscheiden, wie dies geschieht. Auch wenn meine Lebensform anders ist als die von mir gewünschte oder ausgedachte, braucht es meine Bereitschaft und Verfügbarkeit, Ja zu meinem Dasein, so wie es ist, zu sagen. Also egal, was man entschieden hat – das, was das Leben gänzlich ­er­füllt, ist nur eine Gewissheit: Mein Leben an sich ist wundervoll, genau so wie es ist! Es ist schön! Ich bin von Ewigkeit her geliebt! Gottes Wort sagt uns: Keiner von uns existiert rein zufällig oder weil es notwendig wäre. Wir existieren, weil wir von jeher geliebt sind: Noch bevor ein ­je­der von uns im Herzen einer Frau empfangen wurde, wurde er im Herzen Gottes empfangen. Gott hat an jeden von uns gedacht und uns ­geliebt. Und Er hat einen Plan für jeden von uns, den besten Plan von allen.

 

Bild: ©2008 cw-design / photocase
Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2018: Dem JA entgegenleben!
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