Wahrheit wagen (Editorial 2022/2)

VOR DEM LETZTEN BESTEHT NUR, WAS ECHT IST. (Alfred Delp)

Liebe Mitchristen,

wenn wir genau hinschauen, war es für die frühen Christen undenkbar, für etwas anderes als die Wahrheit zu leben und zu sterben – koste es, was es wolle. Sie waren von der Liebe Christi entflammt. Während ich dieses Editorial schreibe, feiert die Kirche den Gedenktag der Enthauptung Johannes des Täufers. Wir kennen ihn als den Wegbereiter Jesu, von dem es heißt: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes, den Täufer (s. Mt 11,11). Unerschrocken und furchtlos bekannte er die Wahrheit Gottes und stand daher auch Herodes Antipas und dessen Frau Herodias im Weg. Johannes hatte zwei Vorwürfe gegen Herodes erhoben: Jener hatte seine Frau verlassen und sich mit der Ehefrau des Bruders vermählt. Johannes hatte Autorität im Volk und seine öffentlichen Anklagen gefährdeten die Herrschaft des Tetrarchen. Dieser musste also reagieren und nahm Johannes gefangen. Herodes hatte nicht von ihm verlangt, Christus zu verleugnen, sondern die Wahrheit zu verschweigen. Doch Johannes der Täufer war bereit, lieber zu sterben als die Wahrheit zu verraten. Er zog es vor, lieber die Gebote des Tyrannen zu missachten als die Gebote Gottes. So hat er das Zeugnis für Jesus Christus, der von sich selbst gesagt hat: Ich bin die Wahrheit, mit dem Martyrium besiegelt.

Johannes Beispiel lehrt uns, dass uns nichts teurer sein sollte als der Wille Gottes. Den Menschen zu gefallen nützt nicht viel, oft schadet es sogar. Viele wollen die Wahrheit wissen, aber nicht auf Kosten ihres Lebensstils. Der Evangelist Markus berichtet davon, dass ­Herodes unruhig und ratlos wurde, als er mit ­Johannes sprach, und doch hörte er ihm gern zu. Andere würden lieber Lügen hören, die sie in der Bequemlichkeit ihrer Sünde verharren lassen, als die Wahrheit zu hören. Ein Gegenbeispiel ist die vor 80 Jahren in Auschwitz ermordete jüdische Philosophin, Edith Stein. In ihrer kompromiss­losen Wahrheitssuche durfte sie entdecken, dass die Wahrheit einen Namen hat: Jesus Christus. In der Auseinandersetzung mit dem National­sozialismus bezeugt sie mit eindrücklichen Worten ihr Leiden am zunehmenden Verrat an der Wahrheit: „Ich werde nicht aufhören zu weinen, in jeder Stunde, die mir zu leben bleibt, denn ihr wisst ja, wie sehr es mir das Herz zerreißt, so viele arme Blinde zu sehen. Schaut, wie die Feinde des Kreuzes Tag für Tag mehr werden, mehr triumphieren… Fortwährend brennen sie lichterloh von tausend Wünschen nach irdischen Freuden verzehrt. Die göttliche Barmherzigkeit kann sie nicht erweichen, mit Wohltaten kann man sie nicht locken; mit Strafen zähmt man sie nicht; wenn man sie gut behandelt, werden sie frech; wenn man sie streng behandelt, toben sie; im Wohlstand spielen sie sich auf; im Unglück verzweifeln sie. … Die größte Sünde ist, den Sinn für die Sünde zu verlieren.“ Ihre Erfahrung wird zum mahnenden Beispiel für uns und mag uns zu dem festen Entschluss bringen, unseren Sünden und unseren Sorgen abzusterben, unserer verirrten Eigenliebe einen Fußtritt zu geben und darauf bedacht zu sein, die glühende Liebe Christi, die uns zur Wahrheit befreit (Joh 8,32), in uns wachsen zu lassen.

Nur wer sich an die Liebe Christi bindet, der wird wirklich frei. In der Nachfolge Jesu sind wir gesandt, Zeugen der Wahrheit (s. Joh 18,37) zu sein. Um unsere Berufung verwirklichen zu können, will das menschgewordene Wort unser Ein und Alles sein. Denn nur in einer lebendigen Beziehung zur Wahrheit kann der Mensch zwischen dem Guten und dem Bösen seine Wahl treffen. Die moderne Welt prahlt mit der verlockenden Tür, die sagt, dass alles erlaubt ist. Dabei übersieht sie die schmale Pforte der Unterscheidung und des Verzichts. Geben wir also acht! Unser Leben ist kein endloser Tag der offenen Tür! Begnügen wir uns nicht mit der Oberfläche, sondern gehen den Dingen auf den Grund! Hören wir in unser Herz hinein! Und wenn es Zeit ist, haben wir Mut, uns zu entscheiden! Der Herr wartet auf uns, dass wir unsere Freiheit dazu gebrauchen, unsere Entscheidungen, Entschlüsse und all unser Handeln von der Wahrheit leiten lassen.

Mögen Sie – liebe Leserin, lieber Leser – sich auch von den Inhalten dieses Heftes dazu ermutigen lassen.

In IHM, der selbst die Wahrheit ist, sich mit Ihnen verbunden fühlend, grüßt Sie herzlich,

Ihr

Rudolf M.J. Böhm
Greifswald, den 8. September 2022

Bild: Collage von Eli Kiefer
Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2022: Wahrheit wagen
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