Schalom – Gottes Ziel mit der Welt

Von der Schöpfung bis zum Schabbat

Dominik Sikinger –

Prolog

Die Geschichte, die die Bibel erzählt, beginnt mit den Worten Am (oder: im) Anfang (Gen 1,1; Joh 1,1). Aber noch davor findet sich das Vorspiel, der Prolog. Bevor Gott Himmel und Erde schuf und damit die Zeitrechnung der Weltgeschichte begann, war ja nicht nichts. Im Anfang, oder besser gesagt vor dem Anfang, war Gott. Über dieses große Geheimnis reden die biblischen Autoren nur scheu und zögerlich. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort, schreibt Johannes und erläutert in Johannes 1: Dieses Wort ist Jesus, der Messias, der einzig geborene Sohn Gottes. Er ist selbst Gott und ist im Schoß des Vaters. Vor der Welt und der Schöpfung war die Gemeinschaft in Gott. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind nicht dieselben, auch nicht drei verschiedene, sondern miteinander ein Gott. Wir wissen: Gott ist Liebe (1 Joh 4, 8), und Jesus sprach davon, dass er im Vater und der Vater in ihm ist (Joh 17) und sie miteinander eins sind (Joh 10,30).

Im Nachdenken über das Beziehungsgeschehen in Gott hat die alte Kirche mit vorsichtiger Sprache zu deuten versucht, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist sich gegenseitig durchdringen und sich in Liebe aneinander verschenken. Die Dreieinigkeit Gottes besteht nicht aus drei verschiedenen Einzelwesen, sondern die Beziehungen selbst gehören zum Wesen Gottes. Später wurde der Begriff der Perichorese verwendet – ein eng umschlungener Tanz, in dem die Tanzenden einander Raum schaffen und sich gegenseitig durchdringen. Vater, Sohn und Geist schließen sich nicht nur in die Arme, sondern gehen ineinander ein, durchdringen einander und wohnen ineinander.
Dieser Prolog ist wichtig. Denn die Bibel erzählt die Geschichte von Gott, der Liebe ist, der sich selbst klein macht, um Raum für andere zu schaffen, der sich in Liebe an andere verschenkt. Gott selbst ist Einheit-in-Gemeinschaft. Gottes Traum für seine Schöpfung ist genau das: Eine Einheit-in-Gemeinschaft, die sich aneinander verschenkt, die sich klein macht, um Raum für andere zu schaffen. Durch die ganze Bibel hindurch zieht sich die Sehnsucht Gottes, ein Volk zu schaffen, das die göttliche Gemeinschaft selbst widerspiegelt und so zu seinem wahren Bild wird. In dieser Liebesgemeinschaft will Gott wohnen.

Die Schöpfung

Wenden wir uns dem ersten Akt zu. Er beginnt, als Gott Himmel und Erde schuf. Die Bibel erzählt nicht in erster Linie, wer oder wie Gott ist, sondern sie schildert sein Handeln. Gott erschafft Himmel und Erde. Er ruft das Nichtseiende ins Dasein (Röm 4,17). Das bringt uns zum Staunen und zur Anbetung.
Wenn vor dem Anfang nur Gott war, dann war alles, was war, Gott. Damit es überhaupt Raum für die Schöpfung geben konnte, musste sich Gott in gewissem Sinne zurückziehen – sich kleiner machen, um seine Schöpfung zu ermöglichen. Das Wesen der Dreieinigkeit Gottes, nämlich Raum zu schaffen füreinander, sich aneinander zu verschenken, fließt über in die Schöpfung – auch das lässt uns anbetend staunen.

Welch eine prächtige Schöpfung! Eine überschwängliche Fülle von Pflanzen und Tieren, Farben, Formen und Landschaften. Am sechsten Tag der krönende Abschluss: der Mensch. Die Einheit-in-Gemeinschaft, die in der Dreieinigkeit herrscht, hat Gott tief in die Schöpfungsordnung hineingelegt, und so wünscht er sich auch das Zusammenspiel seiner Geschöpfe auf Erden. Menschen und Tiere erhalten ihre je eigene Nahrung und stehen nicht in Konkurrenz zueinander (Gen 1, 29f.). Die ursprüngliche Schöpfung war geprägt von versöhnter Gemeinschaft, von Harmonie und tiefem Frieden. Für alle war gesorgt, alles war in Fülle vorhanden. Als Fazit und Bilanz des Schöpfungswerkes steht Genesis 1, 31: Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

Gottes Ebenbild

Gemäß Genesis 1,26-28 sollen die Menschen gemeinsam als Ebenbild Gottes über die Schöpfung herrschen. Gott hat sie in und zu seinem Bild geschaffen. Was bedeutet das?
Im Altertum stellten Könige in den von ihnen beherrschten Provinzen Statuen und Abbilder von sich auf, um so ihre Herrschaft zu verkünden. In gleicher Weise sind die Menschen das Zeichen der Herrschaft Gottes – seine Statthalter, die an seiner Stelle die Welt so regieren sollen, dass Gott in ihnen erkannt werden kann. Gott hatte die Welt weise geordnet und seiner Schöpfung das zur Verfügung gestellt, was sie zu ihrem Gedeihen brauchte. Als seine Stellvertreter sollten die Menschen das, was Gott geschaffen hatte, zur weiteren Entfaltung bringen, die Erde bebauen und bewahren, für sie sorgen, sie hegen und pflegen (Gen 1,28). Gott verbindet sein Wirken mit den Menschen, er vertraut ihnen seine Schöpfung an und will durch sie wirken.

Auf einer zweiten Ebene sind die Menschen Bild Gottes. In Genesis 1,27 heißt es: Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild; im Bild Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie. Die Geschlechter sind verschieden und haben beide ihren eigenen Anteil am Abbild Gottes. Die Zweisamkeit von Mann und Frau, die sich darin ausdrückt, dass ein Mann Vater und Mutter verlässt, seiner Frau anhängt und die beiden zu einem Fleisch werden (Gen 2,24), ist der vorläufige Höhepunkt der Schöpfung. Was Gott bislang gut nannte (Gen 1, 4.10.12.18.21.25), nennt er jetzt sehr gut (Gen 1, 31). Nicht gut ist es hingegen, wenn Menschen allein sind (Gen 2,18). In der Liebesgemeinschaft zweier Menschen, die sich aneinander verschenken und Raum für den anderen schaffen, leuchtet das Ebenbild der Gemeinschaft der Dreieinigkeit auf. Hier entsteht neues menschliches Leben, und der Auftrag Seid fruchtbar und mehret euch (Gen 1, 28) wird erfüllt. In der liebevollen Einheit und Gemeinschaft zweier Menschen spiegelt sich so die Einheit-in-Gemeinschaft Gottes wider.

Schalom

Am Tag nach der Erschaffung des Menschen ruhte Gott von allem, was er gemacht hatte und segnete und heiligte den siebten Tag (Gen 2,2f.). Die Schöpfung ist zu ihrem Ziel gekommen, dem paradiesischen Urzustand, in dem wir den guten Schöpferwillen Gottes erkennen. Die liebende Einheit Gottes findet ihren irdischen Ausdruck in der liebenden Einheit zwischen Adam und Eva, die mit sich selbst, miteinander, mit Gott und der Schöpfung in versöhnter Gemeinschaft leben. Hier herrscht Schalom – tiefer göttlicher Friede, eine ganzheitliche Harmonie auf allen Beziehungsebenen. Die Schöpfung erstrahlt im Glanz der Herrlichkeit Gottes. Alles zielt auf ein Leben in Überfluss, Fülle und Fruchtbarkeit ab, das die Schöpfung, das Miteinander und die Beziehung zum Schöpfer genießen kann.
Im Rückblick auf den ersten Akt erkennen wir, dass Ebenbild Gottes zu sein zumindest dreierlei bedeutet: wie Gott zu schaffen, das heißt, eine erfüllende Tätigkeit zu haben und die Schöpfung im Sinne Gottes zu gestalten, wie Gott Beziehung und Gemeinschaft zu haben und wie Gott in Ruhe und Freude zu genießen.

Dominik Sikinger ist Studienleiter der Werkstatt für Gemeindeauf bau (Ditzingen). Er lebt mit seiner Familie im schwäbischen Heimerdingen.

Aus: Wie die Bibel Sinn macht. Ein altes Buch neu ­kennenlernen. Francke-Verlag, Marburg 2013, S. 14-19

Bild: Kalligraphie von Naomi Teplow
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