Nur wer einen Willen hat kann ihn freigeben

Antje Vollbrecht –

Eingebungen zum Abschnitt „Hingabe“ in der Grammatik der OJC-Gemeinschaft

 

Sich hingeben wollen viele – die Frage ist: woran sich hingeben oder an wen und mit welchem Ziel?

 

Sich hingeben heißt sich riskieren. Unser Leben ist hochriskant. Wir verschenken uns an Jesus Christus, wir erkennen an, dass wir ihm gehören.

Hingabe ist beides: wonach wir uns sehnen und was uns aufgetragen ist.
Wir sehnen uns, als hingegebene Menschen zu leben. Darin sind wir Ebenbilder unseres Schöpfers. Das ist gewissermaßen unser „Bauplan“: Gott selbst gibt sich ganz hin, er hat sich riskiert. Unsere Hingabe ist eine Antwort auf seine Hingabe, die zuerst war: So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Joh 3,16).
Zugleich ist es das, was uns aufgetragen ist: als hingegebene Menschen, als Kinder des Lichts zu leben. Es darf uns alles kosten. Wir wollen unser Leben als ein lebendiges Opfer geben (Röm 12,1).

Hingabe geschieht zuallererst in der Beziehung des einzelnen Menschen zu Gott. Sie ist eine Entscheidung aus Liebe zu Jesus Christus. Diese Liebe kann kein Mensch machen. Gott selbst hat sie in unsere Herzen ausgegossen. Entscheidend ist: Wie steht es zwischen Gott und mir? Weil uns die leidenschaftliche Liebe von Jesus berührt hat und nicht loslässt – weil wir einen Weg suchen, ihm angemessen zu antworten. Er hat uns dem Tod entrissen – wie anders antworten, als mit unserem ganzen Leben?

Deshalb ist sie unsere Antwort, die Anerkenntnis mit unserem ganzen Wesen auf den Ruf Jesu „Folge mir nach“: nicht etwas geben, sondern uns selbst. Nicht an etwas verschenken, sondern an jemanden: an unseren Schöpfer. Unkalkulierbar und der eigenen Verfügungsgewalt entzogen.
Hingabe ist auch Antwort auf Gottes Ruf, wie Gott mich gemacht hat – ist ein Einnehmen des gegebenen „Landes“. In Körper, Gaben, Fähigkeiten, Charakter, Beruf liegen Verheißungen! Es ist ein Einnehmen des verheißenen Landes und darin einwohnen.

 

Und wir tun es freiwillig, entschieden und mündig: Nicht aus Angst, sondern im Vertrauen. Nicht unter Druck, sondern in Freiheit. Nicht unbedacht, sondern nach reiflicher Überlegung.

Gottes Liebe ist freiwillig, bedingungslos, treu und fruchtbar1.
So soll unsere Entscheidung auch sein.
In freiem Willen: frei vom Druck anderer Menschen, frei von innerem Druck. In geklärten Verhältnissen. Wir haben Entscheidungsalternativen erkannt, benannt, bedacht und uns bewusst für diesen Weg entschieden. Wir hatten die Wahl. Schon Adam und Eva hatten alle Entscheidungsfreiheit. Gott will unsere freie Entscheidung – unser freiwilliges Ja zu ihm.

Wir haben gemerkt, dass Jesu Anfrage an uns eine entschiedene Antwort braucht. Nicht entscheiden ist auch entscheiden, sagt man, aber das reicht nicht. Das Leben wächst bei Ja und Nein2. Durchmogeln ist unmöglich, wenn er fragt: Was willst du? (z. B. Mk 10,51) und wenn er ruft: Folge mir nach (z. B. Mk 10,21).
Wir lassen nicht – wie noch unmündige Kinder – andere Menschen Entscheidungen über unser Leben treffen. Wir versuchen die Tragweite und Konsequenzen unserer Entscheidung zur Hingabe zu erkennen und übernehmen die Verantwortung für das, was wir tun und lassen.

Das tun wir im Vertrauen. Gott hat uns gemacht. Er weiß, aus welchem Stoff wir sind (Ps 103,14), und was einem jeden von uns innewohnt. Wir geben Gott, was ihm gehört: wir sind sein Eigentum. Wie der Ton dem Töpfer gehört, ihn nach seinem Belieben zu formen3. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dieser Töpfer noch bei jedem Ton nachspürt, aus welchem Material er ist und zu welcher Form und welchem Dienst er am besten zu formen ist. Was am allerbesten passt, um alles, was angelegt ist, auszukosten, um den ganzen Kern zur vollen Geltung zu bringen. Dieser Töpfer schaut den Ton an, er spürt zu ihm hin, um ihn bestmöglich einzusetzen zu dem, was diesem speziellen Stück Ton innewohnt.
Da hinein wollen wir uns einfügen.
So kann Gott etwas in die Welt bringen, was uns einzelne Menschen weit übersteigt.

 

Lerne deinen eigenen Willen kennen und artikulieren, sei bereit, ihn auch loszulassen – im Vertrauen, dass Frucht daraus erwächst. Du musst dich nicht durchsetzen.

Hingabe bedeutet: „Dein Wille geschehe“.
Es braucht eine Menge Mut, ehrlich die Frage „Was willst du?“ zu beantworten.
Den eigenen Willen kennen, ihn zu bilden und zu vertreten, gehört aber zum Kern des Menschseins. Jesus fragt oft Menschen, denen er begegnet, was sie wollen. Wer Willensbildung verweigert, nimmt die Frage Jesu und sich selbst nicht ernst. Wenn wir diese innere Auseinandersetzung verweigern, verweigern wir unser Menschsein! Nicht selten steckt dahinter Angst und Vermeidungsverhalten: Wo zwei Willen aufeinander treffen, kann es zum Konflikt kommen4. Stellt man sich diesem Konflikt und wird er ausgetragen, kann eine tiefere Beziehung wachsen, größere Liebe reifen.

Wer den eigenen Willen nicht kennt, steht in der Gefahr, sich durch äußere Einflüsse bestimmen zu lassen, passiv fremden Willen und fremden Anspruch zu dulden und zu erdulden. Auch inneren Einflüssen, z. B. Gefühlsregungen, wird man leicht nachgeben, wenn man nicht um den eigenen Willen weiß. Es gelingt nicht, eigene Ziele zu formulieren und zu erreichen. Frust, ein Gefühl, fremdbestimmt zu sein, können sich einstellen, und die Schuld dafür beim Anderen gesucht werden. So wird die Gemeinschaft mit anderen Menschen und die eigene Beziehung zu Gott gefährdet.
Auf vertrauendem Loslassen des eigenen Willens liegt Verheißung. Zum reichen Jüngling sagt Jesus: Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach (Lk 18,22).

Den eigenen Willen in die Mitte legen. Teilen. Mitteilen. Sichtbar machen für den Anderen, für Gott. Etwas zu verlieren, Verlierer zu sein, ist nicht schön. Schwäche nagt am Selbstbild, eigener Schwäche begegnen ist unangenehm. Komme ich zu kurz?
Du musst dich nicht durchsetzen. Selbst wenn ich von der Richtigkeit meiner Auffassung überzeugt bin: wenn ich verbissen kämpfe und das Maß verliere, wenn es nicht mehr um die Sache, sondern um Durchsetzen des Eigenen geht, auch dann gefährde ich die Beziehung zu anderen Menschen und zu Gott. Und ich verhindere, dass aus dem, was von allen eingebracht für alle sichtbar in der Mitte liegt, Neues hervorgehen kann.

Hingeben ist einwilligen ohne Bedingungen. Es ist eine Haltung des Herzens. Hingeben hat nichts mit Pflichtbewusstsein zu tun. Es geht nicht um einen Tausch. Es gibt keine Aussicht darauf, etwas zurückzubekommen. Hingabe berechnet nicht, sie erwartet keine Gegenleistung. Sie weiß nicht, was daraus wird: Dein Wille geschehe.
Das ist nur im Vertrauen möglich. In der festen Zuversicht dessen, was man hofft, und im Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht (Hebr. 11,1). Dieses Vertrauen speist sich aus den vielen Erfahrungen der Alten, die im Glauben Gottes Zeugnis empfangen haben, der Generation der Gläubigen vor mir, der Gläubigen meiner Generation und den selbst gemachten Erfahrungen mit Gott, die zuversichtlich hoffen lassen.

 

Aus einer Gemeinschaft hingegebener Menschen lässt Gott etwas hervorgehen, was unsere Möglichkeiten übersteigt: ein Gefäß seines Heiligen Geistes.

Unser Wunsch ist, dass Gott uns gebrauchen kann in dieser Welt.
Jesus sagt: Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und wird größere als diese tun (Joh 14,12). Daran wollen wir glauben, daran mitwirken. Den Staffelstab des Glaubens von den Alten übernehmen, durch unsere Generation tragen und an die Jungen weitergeben.
Viele Menschen sehnen sich nach Frieden. Sie meinen einen Frieden, den die Welt nicht geben kann. Sie brauchen eine Begegnung mit dem Gekreuzigten, der mit ihnen leidet, der alle Verletzungen, alle Wunden kennt. Sie brauchen Begegnung mit dem Auferstandenen, der den Tod überwunden hat. Und sie brauchen eine Begegnung mit dem, der zur Rechten des Vaters sitzt und alle zu sich ziehen will.
Wir geben uns hin an Christus und vertrauen, dass der Geist des Herrn, der den Tod überwand, leidenschaftlich in unserem Leben wirken kann und das Licht aufstrahlt für Viele5.

Unsere Hingabe ist eine Entscheidung aus Liebe zu Jesus Christus aufgrund der erfahrenen, erlebten Barmherzigkeit des lebendigen Gottes, damit die Menschen dieser Welt von der Liebe ihres Schöpfers erfahren.

Antje Vollbrecht ist Juristin, gehört seit 16 Jahren zur OJC und ist 2013 in die Kommunität eingetreten.

Anmerkungen:
1 Zit. nach Gams, Corbin und Birgit, Vision Liebe, Handout zum Seminar Leib, Liebe, Sexualität – Eine Vision für den Menschen, 3. Auflg., S. 23 f
2 Eugen Rosenstock-Huessy
3 Bild vom Töpfer vgl. Jes 64, 7; Jer 18, 1 ff.; Röm 9, 21
4 Prägnante Auseinandersetzung um das Finden des eigenen Willens: Alex Lefrank, Was ich will – Zum Unterschied zwischen echtem und falschem Leiden, abgedruckt in Brennpunkt Seelsorge Heft 3/2007.
5 Vgl. Die OJC Kommunität mit Dominik Klenk, Wie Gefährten leben, Basel 2013.
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