Mit Heimweh daheim – Im Warten auf Erfüllung

Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Philipper (3,20): Unsere Heimat ist aber der Himmel. Oft ist nur noch die Rede von einem „himmlischen Essen“ oder Verliebte versprechen einander „den Himmel auf Erden“. Doch die letzte Wirklichkeit, die uns nach diesem Erdenleben erwartet, ist das selige Leben ohne Ende, unsere Wohnstätte bei Gott im Himmel. Unsere tiefste Sehnsucht wird erst dann ganz gestillt, wenn wir das Angesicht Gottes schauen. So ist es uns von Gott verheißen. Und bis zum Ende unseres ­Lebens ist die Zeit der Erwartung auf die Erfüllung. Wenn wir dort angelangt sind, werden wir nichts mehr suchen, nichts mehr verlangen. Grund genug also, sich schon zu Lebzeiten mit dem Himmel, dem Ort ewiger Seligkeit, zu beschäftigen. Denn das ewige Leben ist die großartigste Perspektive, um dieses Leben zu meistern. Mit dieser Aussicht kann ich meinen Alltag positiv umkrempeln, die richtigen Prioritäten setzen, ja selbst in bedrängenden und leidvollen Situationen gelassen und hoffnungsvoll bleiben.

Was bedeutet „Ewigkeit“? Es gibt Augenblicke, in denen wir spüren, ja, so müsste das wahre Leben sein. Wir können nicht aufhören, uns danach auszustrecken, und wissen doch, dass alles, was wir erfahren können, nichts im Vergleich zu dem ist, wonach wir verlangen. Der Ausdruck „ewiges ­Leben“ versucht, diesem Unbekannten einen ­Namen zu geben.

Meine Großmutter war eine tiefgläubige Frau mit großem Heimweh nach dem Himmel. Oft betete sie: „In den Himmel möchte ich kommen, das ­habe ich mir vorgenommen, mag es kosten was es will, dafür ist mir nichts zu viel.“ Sie malte uns Kindern aus, wie schön es dort sein wird. Ein weiterer Blick auf die Ewigkeit wurde mir geschenkt, als ich im Alter von acht Jahren auf meine erste heilige Kommunion vorbereitet wurde. Für mich unvergesslich prägte meine Großmutter mir ein: „Wenn der Priester die Hostie hochhält und spricht ‚Seht, das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünden der Welt‘, dann schaust du in den Himmel. Und wenn du zur Kommunion­ gehst, wird dein Herz zu einem Ort des Himmels.“ In meiner Pubertät wich der bis dahin mich noch prägende Einfluss meiner Großmutter meiner eigenen Suche nach Glück und Lebenssinn. Erst an meiner Hochzeit brachte sie den Himmel erneut ins Spiel, als sie mir sagte: „Als Verheiratete habt ihr die Aufgabe, euch gegen­seitig in den Himmel zu helfen!“ Das haben wir im Laufe unseres Ehelebens mühsam zu verstehen und inzwischen gut gelernt. Als meine Groß­mutter dann starb, durfte ich ihr bis zu ihrem letzten Atemzug nahe sein. Ihr letzter Wunsch war, dass ich mit ihr den Auferstehungs-Rosenkranz bete, wie ich es als Kind von ihr gelernt hatte. Ihr geistliches Vermächtnis führte Jahre später bei mir – ausgelöst durch einen schweren Schlaganfall und knapp dem Tod entronnen – zu einem unsagbar großen Heimweh nach der Kirche, in der Gott mir einmal so nahegekommen war. ­Diese Sehnsucht bestimmt mein Leben bis heute. Dabei bin ich nicht weltflüchtig geworden, habe nicht aufgehört, mich an Gottes Welt zu erfreuen und sie zu genießen. Aber zugleich kann ich die vielen Hinweise nicht übersehen, dass sie nicht unsere eigentliche Heimat ist, dass es noch eine bessere Welt gibt, die wir einmal zu bewohnen hoffen dürfen.

Von den letzten Dingen

Die Theologie verweist in diesem Zusammenhang auf den eschatologischen Horizont des christlichen Daseins. Die „Eschata“ – die „letzten Dinge“: Tod, Auferstehung, Gericht und Ewigkeit stehen nicht bloß am Ende. Es vollzieht sich nicht zuerst das irdische Dasein, dann folgt der Tod, und danach beginnt das Ewige, sondern schon jetzt, in der Zeit, ist Ewigkeit. Wenn Paulus sagt, „unsere Heimat ist im Himmel“, heißt das, dass die Zukunft noch vor uns liegt; gleichzeitig hat die Zukunft im Heute schon begonnen. Im Heute in Vorfreude leben auf das Morgen der Ewigkeit! Der Christ ist der Mensch von morgen; er lebt heute schon das, was sich am Ende für alle Menschen als Wahrheit herausstellen wird. Die Heilige Schrift macht es uns in Bildern klar. Da ist die Braut, die sich schmückt für den Bräutigam; da sind die Jungfrauen, die aufgebrochen sind, um dem nächtlichen Hochzeitszug mit Lichtern festlichen Glanz zu geben.

So ist es auch im Gleichnis vom schelmischen Verwalter (vgl. Lk 16,1-8), der auf eine kommende Wirklichkeit zulebt. Jesus lobt nicht seinen Charakter, nicht seine betrügerischen Handlungen, sondern die Klugheit, mit der er sich ganz auf die Zukunft konzentriert. So soll auch der Jünger in diesem Leben alles auf seine Zukunft bei Gott und seine Teilhabe an der Vollendung des Reiches Gottes setzen. Der Jünger soll nicht in der Gegenwart, in den Sorgen dieser Welt aufgehen, er soll sich Schätze im Himmel sammeln (Mt 6,19-20) und für bleibende Werte sorgen. Er soll so leben, dass er sich ganz am künftigen Heil und letztlich an Gott ausrichtet. Immer neu tritt das künftige Heil vor die Seele, tröstend, aufrichtend, weg­weisend, kräftigend, nährend wie das Leben selbst, und Distanz gebend zum Gegenwärtigen, so dass Widriges in Geduld ertragen und Unwichtiges aus den Händen gelassen werden kann.

Von der zeitlosen Währung

Dieses Jahr bin ich 66 Jahr alt geworden. Ich habe die Liebe meines Lebens gefunden, genieße kostbare Freundschaften und habe einen Beruf, der mir zur Leidenschaft wurde, dazu 6 Kinder und 13 Enkel, die sich freuen, wenn sie mich sehen. Das ist mehr Glück, als ich verdient habe. Ich bin sehr dankbar für mein Leben, und doch beschäftigt mich die Frage: Wie werde ich einmal vor meinem Richter stehen?

Für uns Menschen ist die Lebensspanne zwischen Geburt und Tod der Zeitraum, in dem wir den Anruf Gottes hören und uns entscheiden müssen. Das ist die begrenzte Frist, in der alles passieren muss, worauf es ankommt, in der wir – wie in der Geschichte vom Reichen und dem armen Lazarus – am Kreuzweg stehen und alles gewinnen oder alles verlieren können. Wir haben nicht die Verheißung, dass diese Frist verlängert werden könne und es Nachholkurse im Jenseits gäbe. C.S. Lewis schreibt in seinem Buch Die große Scheidung: „Am Ende gibt es nur zwei Arten von Menschen: Diejenigen, die zu Gott sagen: Dein Wille geschehe, und diejenigen, zu denen Gott sagt: Dein Wille geschehe.“ In Lewis Erzählung kommt zum Ausdruck, dass es nicht um bestimmte „gute ­Taten“ geht, sondern dass der Mensch, der beim „Ich, Ich, Ich“ stehenbleibt, sich selbst bestraft. Die Wirklichkeit wird auf das eigene Ego reduziert. Das unablässige Kreisen um sich selbst bzw. um Dinge, die dem Menschen zum Götzen ­geworden sind, hält ihn davon ab, in den Himmel zu kommen: „Immer gibt es etwas, was sie durchaus behalten wollen, selbst um den Preis des Elends. Immer gibt es etwas, was sie der Freude – und das heißt der Wirklichkeit – vorziehen.“1
Was im Himmel zählt, ist die Liebe! Sammelt nicht Schätze hier auf der Erde …, sondern sammelt euch Schätze im Himmel (Mt 6,20). Am Ende hat nur das vor Gott Bestand, was in uns Liebe geworden ist.
Der Apostel Paulus weist darauf hin, dass die Art, wie wir unser Leben auf Erden leben, Konsequenzen für die Ewigkeit hat (1 Kor 3,12-15). Er spricht von einer Läuterung „wie durch Feuer hindurch“. Einleitend heißt es: Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus (1 Kor 3,10-11). Jesus Christus ist letztlich der Maßstab, das Urbild der Liebe, in das wir hineinverwandelt werden sollen.

Im Licht der Wahrheit

Nicht ohne Erschrecken denke ich daran, wie viel von meinen Werken und meinem Gewordensein wohl die Feuerprobe besteht. Spätestens wenn wir sterben, müssen wir alle durch das Feuer der Liebe Gottes hindurch, die uns in Jesus Christus sichtbar geworden ist. Dieses Läuterungsfeuer ist in der Kunst oft materialistisch, als physisches Feuer, veranschaulicht worden. Ich glaube nicht, dass es so zu verstehen ist. Gemeint ist wohl die Intensität des Schmerzes aus der Selbsterkenntnis. Wenn mir aufgeht, wo ich es verpasst habe, Gutes zu tun bzw. in Liebe zu leben, und es jetzt nicht wiedergutmachen kann. Wenn ich plötzlich feststellen muss, wie sehr mich jemand geliebt hat und ich darüber gedankenlos hinweggegangen bin. Dann tut das wahnsinnig weh und ich erschrecke, wenn ich erkenne: Der Gott, dem ich mich anvertraut habe, ist kein harmloser Gott, kein Glattmacher. Gott liebt glühend. Die Wahrheit wird euch freimachen, sagt Jesus im Johannesevangelium. Einmal wird jeder Mensch die Wahrheit seines Lebens im Licht der ganzen Wahrheit Gottes schauen. Dieses Licht wird alles durchdringen. Tiefer noch als Röntgenstrahlen, die die Brüche des menschlichen Leibes sichtbar machen können, macht es unsere Verstrickungen deutlich. Aber Gottes glühende Liebe will immer retten, die Wunden reinigen und die Brüche ­heilen. Unser Teil ist es, darin einzuwilligen, ­solange wir auf dieser Erde leben (vgl. Eph 5,16).

Das Maß der Heiligkeit

Manche Christen denken, dass Gott sie liebt und dann wird schon alles okay sein. Unser liebender Vater im Himmel wird zu einem greisen Wohlmeiner, der es gern sieht, wenn die Leute sich amüsieren und dessen Plan für das Universum darauf hinausläuft, dass am Abend eines jeden Tages gesagt werden kann: Es war für alle wunderbar. C.S. Lewis spricht in diesem Zusammenhang von einem „Limonadenchristentum“. Doch wir sind berufen zur Heiligkeit! Im ersten Petrusbrief lesen wir: Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch euer ganzes Leben heilig werden… Seid heilig, denn ich bin heilig! (1 Petr 1,15-16). Wenn wir Heilige aus Berufung sind, dann findet unser Menschsein darin seine Bestimmung. Andernfalls sind wir gescheitert. Man kann im ­Leben auf sehr viele verschiedene Arten und Weisen scheitern. Wenn wir an unserer Heiligkeit scheitern, dann berührt das nicht die Dinge, die wir tun, sondern das, was wir sind. Wir haben keinen Einfluss darauf, ob wir stark oder schwach geboren wurden, ob wir schön oder weniger schön, arm oder reich, klug oder weniger klug sind, aber es liegt an uns, ob wir ehrlich oder unehrlich, gut oder schlecht, christusgemäß oder sündig leben. Das Gegenteil von heilig ist nicht sündig, sondern gescheitert: Strebt voll Eifer … nach Heiligung, ohne die keiner den Herrn sehen wird! (Hebr 12,14).

Freundschaftliche Verbundenheit

Unser menschliches Unvermögen ist kein Hindernis, sondern die Chance, unsere Armut Gott hinzuhalten. Der heilige Kirchenvater Augustinus präzisiert: „Wir sind mittätige Empfänger der Gnade Gottes.“ Wir bekommen die Gnade als ­Geschenk! Wir brauchen nur Gefäße zu sein, um zu empfangen, was Gott uns schenken möchte. Unsere Aufgabe ist es, uns von Gott ansprechen zu lassen, unsere Vorbehalte loszulassen und uns vertrauensvoll seiner Fürsorge zu überlassen. ­Seine Liebe tut nichts ungefragt oder über uns hinweg, zwingt uns nichts auf. Heiligkeit besteht nicht darin, außerordentliche Taten zu vollbringen, sondern dass wir uns Christi Einstellungen und sein Handeln in der Kraft des Heiligen Geistes zu eigen zu machen. Lassen wir uns nach seinem Leben formen. Gemeint ist dieser von innen her notwendige Prozess der Umwandlung des Menschen, in dem er Christus ähnlich wird. Heiligkeit ist nichts anderes als die Fülle gelebter ­Liebe (vgl. Joh 4,16).
Der Dreieinige Gott sucht ein Leben in freundschaftlicher Verbundenheit mit uns. Den Himmel gibt es wirklich und es lohnt sich, darauf hin zu ­leben. „Das Nichtwissen der Stunde unserer endgültigen Begegnung mit Gott treibt uns an, unsere Liebe zu vertiefen, unsere Talente voll einzusetzen, keine Zeit zu verlieren, mit größerer Inständigkeit zu bitten und mit größerer, glühenderer Sehnsucht die ‚selige Hoffnung’ zu nähren.“2
Christliche Hoffnung bedeutet, nach Hause kommen. Im Blick auf diese wunderbare Aussicht bin ich auf dieser Erde gerne noch eine Zeitlang „mit Heimweh daheim“. Doch am Ende werde ich ­sagen dürfen: „Nun bin ich doch noch nach ­Hause gekommen! Das ist meine wahre Heimat!“

Anmerkungen:
1 C.S. Lewis in: Die große Scheidung, Johannes Verlag Einsiedeln, 1980, S. 75
2 Johannes Paul II., Predigt, 23.2.1985
Bild:©artem beliaikin / unsplash
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