„Ich will dein Ja!“ –  Fragen an Michael Wacker nach seinem Umzug von Südwest nach Nordost

Etwas Neues anzufangen ist anstrengend, im Vorfeld vielleicht sogar beängstigend, es muss also einen guten Grund geben, um sich darauf einzulassen. Was hat Sie dazu bewogen, aus dem Südwesten Deutschlands in den Nordosten zu aufzubrechen?

Ja, was hat mich bewogen? Die Anfänge lagen wohl in 2009, als ich in einem TV-Gottesdienst des ERF über die Geschichte von Petrus reden sollte, der aus dem Boot aussteigt, um auf dem Wasser zu gehen. Während der Vorbereitung wurde in mir der Eindruck immer stärker: Auch für mich persönlich steht ein Aussteigen und ein Neuanfang an. Damals ging ich auf die 50 zu und arbeitete in einer blühenden württembergischen Gemeinde. In mir lebte jedoch auch die Sehnsucht, mich in die Stille zu vertiefen, auf Gott zu hören und andere dazu anzuleiten. Durch eine Zusatzausbildung zum Geistlichen Begleiter und in Ignatianischen Exerzitien hatten sich neue Räume geöffnet. Und dann machte mich ein lieber Freund darauf aufmerksam, dass die Stelle der Leitung im Haus der Stille in Weitenhagen noch vakant war. Viel zu weit weg, die Eltern sind in hohem Alter – das war mein erster Impuls. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, wie sich die Arbeit in einem Haus der Stille mit Gemeindearbeit verbinden lassen und beides zusammen funktionieren sollte?! Mein Freund blieb beharrlich: „Da bietet sich die Chance auf solch eine Arbeit, und du schaust sie nicht einmal an?“ Ich war völlig erstaunt, als meine Frau kommentierte: Er hat Recht! Wir machten uns auf den Weg über 900 km und erlebten eine Überraschung: Es war alles wie vorbereitet und völlig stimmig.

Der tatsächliche Wechsel war dennoch ein weiter Weg: von einer Landeskirche in die andere, Vorstellung vor einem illustren Gremium mit verschiedenen Interessen und die Wahl, Gottesdienst in der Gemeinde – wir sind die lange Strecke viermal in vier Monaten gefahren. Am Ende standen aber alle Türen offen.

Was mich bewogen hat? Es war nicht ein guter Grund, sondern eine lange innere Entwicklung, Impulse von außen, die Einigkeit mit meiner Frau, (überraschend) sich öffnende Türen – in allem Gottes Reden.

Sie waren schon 55, als Sie nach Weitenhagen aufgebrochen sind. Was haben Sie erlebt?

Es war eine große Chance, noch einmal alles hinter uns zu lassen und uns auf völlig neue Verhältnisse und Menschen einzulassen. Wir kannten kaum einen Ortsnamen und keinen Menschen im Umkreis von mehreren 100 Kilometern. Ungewohnt war die Struktur der Kirche, des pommerschen Kirchenkreises, der Kollegenschaft, der Osten – alles durchaus ganz anders. Wir wurden – von Pommern selbst – gewarnt, die Pommern seien besonders und oft verschlossen. Wir haben dann ungemein viel Offenheit und Herzlichkeit erfahren. Unser Horizont wurde gewaltig erweitert. Wir hätten auch die lieben Menschen des Hauses der Hoffnung nie so kennengelernt!

Sind Sie gerne aufgebrochen?

Meine Frau und ich, wir sind eher stetige Menschen und nur begrenzt abenteuerlustig. Für freiheitsliebende Menschen sind Neuerungen wahrscheinlich attraktiver. Aber so ganz neu anfangen, wie ich es beschrieben habe, ist in einem Menschenleben wohl immer eine besondere, vielleicht einmalige Gelegenheit, ein Geschenk. Eine solche Veränderung muss von innen und außen wachsen, durch fremde Impulse und aus der eigenen Sehnsucht heraus.

Was haben Sie als ermutigend erlebt, was war schwierig?

Ermutigend war vieles: Unsere Familien, vor allem auch die Eltern, haben uns losgegeben. Der Kirchengemeinderat, den ich von vornherein mit in den Prozess hineingenommen hatte, hat uns gesendet, und die uns so vertrauten und lieben Menschen der Gemeinde haben – auch unter Tränen – bestätigt: Ja, das ist euer Weg! Meiner Frau wurde noch – ungesucht –  so etwas wie ein prophetisches Wort mit auf den Weg gegeben, das uns sehr berührt und das sich bestätigt hat. Mir selbst erging es so: Ich saß in einer Kapelle bei Exerzitien, eigentlich war nach den vier Fahrten schon alles fest, aber ich wollte von Gott noch so etwas wie eine innere Vergewisserung für meinen Weg. Und dann war da plötzlich das Wort in mir, fast akustisch, so klar wie ich es wohl noch nie erlebt hatte: „Ich will dein Ja!“ Und ich wusste schlagartig: Ja, mein Ja braucht es – und gleichzeitig war da Gottes klares und sanftes Berühren meiner Seele!

Gab es Augenblicke, in denen Sie aufgeben wollten?

Aufgeben? Nein, bis heute haben wir noch keine Stunde bereut, hierhergekommen zu sein. Und die Gemeinschaft mit dem Haus der Hoffnung hat daran ihren schönen Anteil.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ – diesen Ausspruch von Hermann Hesse kennt wohl jeder. Haben Sie das so erlebt?

Zauberhaft ist z. B. das Licht hier oben im Nordosten, das am Morgen oder auch am Abend in unser Gelände hineinleuchtet, auf die Bäume, auf das Fachwerkhaus – ganz anders als im Süden. Zauberhaft sind die echten Kerzen am Weihnachtsbaum. Zauberhaft ist die herzliche Zuwendung vieler Menschen – auch wo das gar nicht zu erwarten war.

Vieles hält bis heute vor. 2019 hatten wir das gesamte Jahr eine Rehfamilie im Gelände, eines Morgens ist ein Rehkitz hinter der Mutter hergesprungen, direkt an meinem Arbeitszimmer vorbei. Menschen erleben hier oft einen Frieden, der nicht menschengemacht ist. Wenn sie uns davon erzählen, sind wir bewegt und staunen. Wenn man selbst mit den Herausforderungen im Haus beschäftigt ist, wundert und freut man sich umso mehr, wenn die Gäste Ruhe und Stille finden, obwohl wir das nicht machen können.

Egal wohin man geht, man nimmt sich immer selbst mit. Ist das ein Satz, mit dem Sie etwas anfangen können?

Ach ja, an vielen Stellen. Wir ringen beide weiter mit unserer Harmoniebedürftigkeit, und es fällt uns nicht leicht, uns die Freiräume zu erkämpfen, die wir brauchen. Ich selbst leide an meiner begrenzten Sprachfähigkeit, aber die Pommern sind sehr zugewandt und scheinen den schwäbischen Klängen auch etwas abgewinnen zu können.

Was ist heute schwierig, wofür hat es sich gelohnt?

Die seelsorgliche und theologische Arbeit bilden tatsächlich den Schwerpunkt meiner Tätigkeiten. Die Seminararbeit bietet die Möglichkeit, Menschen über Tage hinweg intensiv zu begleiten. Und ich staune: Wir leben und arbeiten auf einem lange zuvor bereiteten Boden. Frauen und Männer sind zu DDR-Zeiten ein Glaubenswagnis eingegangen, als sie das Haus der Stille gegründet haben. Unter schwierigen Bedingungen haben sie es begonnen und gestaltet, es in der Wende- und Nachwendezeit treu weitergeführt und immer neu ausgerichtet. Die Kraft und der Segen dieser Jahrzehnte ist spürbar. Ich freue mich, dass ich nun – in großer Hochachtung vor der Geschichte – meinen Teil dazu beitragen darf, dass hier etwas weiterfließt.

Was ich nur schwer hinnehmen kann, ist, dass weniger Kraft für die Gemeinde bleibt, als ich es mir wünschte, etwa für die Kinder- und Jugendarbeit. Manchmal sind wir sehr müde. Aber das wären wir sicher überall…

Neu anfangen – wie gehört das zu Ihrem Leben?

Jeden Morgen übe ich mich neu ins Vertrauen ein. Ganz konkret bieten mir die Finanzen ein gutes Übungsfeld. „Lass das meine Sorge sein!“, so hat es mir Gott auf einer einsamen Bergtour in den Dolomiten ins Herz gesagt. Seit unserem Umzug 2016 habe ich eine Körperübung in meine morgendliche Stille integriert: Ich lege mich auf den Rücken, breite die Arme aus, spüre, wie ich getragen bin und weit geöffnet hin zum Himmel.

Michael Wacker, seit 2016 Leiter des Hauses der Stille in Weitenhagen, zuvor Gemeindepfarrer im Schwäbischen. Schwerpunkte in den Bereichen Homiletik und Spiritualität, Vorlieben für das „Alte“ Testament, die biblischen Sprachen und den VfB Stuttgart. Wichtigster Mensch: Luise. Sie sind seit 1987 verheiratet.
Das Gespräch führte Birte Undeutsch.

Bild: Emmaus-Skulptur von Thomas Sitte in der Kirche von Weitenhagen, Foto von Luise Wacker
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