Heilen hat seine Zeit – Vom Trauerprozess nach der Scheidung

Christina Geister –

Nach langem Abwägen, Einbeziehen von Familien­mitgliedern und Freunden, Eheberatung und etlichen Rettungsversuchen war die Kraft geschwunden. Ich sprach es als Erste laut aus und meinte, Steine vom Herzen meines Mannes fallen zu hören. Jetzt war es da: das Aus. Um unsere Lieben nicht Gerüchten und Vermutungen auszusetzen, verfassten wir gemeinsam eine E-Mail, in der wir die Tatsache unserer Trennung preisgaben. Die Reaktionen halfen mir, mich weniger alleine zu fühlen und zu realisieren, was gerade passierte.

Als ich mich von unserer Eheberaterin über die statistisch durchschnittliche Leidenszeit nach ­einer Trennung aufklären ließ, war ich überzeugt, dass die zwei Jahre bei uns sicherlich kürzer ausfallen würden. Wir gingen ja einvernehmlich auseinander. Nun ist es bereits über fünf Jahre her und ich merke, wie lange eine Trennung spürbar weh tut. Ich gehöre zu den Menschen, die lieber kämpfen statt loszulassen, und habe jeden Beziehungs- und Trennungsaspekt mehrfach durchdacht. Schlussendlich werde ich wohl nie erfahren, ob es richtig war, aufzugeben.

Gefühle, ja

Sobald die Trennung klar war, beschloss ich, diesen Umstand zu nutzen, um meinen Traum vom Sozialarbeitsstudium zu verwirklichen. Ich sog viele Vorlesungen förmlich auf und konnte mich auf eine heilende Art mit meiner Trennung auseinandersetzen. Die nach mir greifende negative Energie konnte ich umlenken und als Motivation nutzen. Ich lernte, meine Emotionen zuzulassen, ohne ihnen zu viel Einfluss auf meine Gedanken zu gewähren. Mir war bewusst, dass negative Gedanken zu Gewohnheiten werden können und ich wollte eine positive Grundlage für mein neues Leben. Also blieb mir gar nichts anderes übrig, als alles Wunderbare mitzunehmen, was sich mir bot.

Nichtsdestotrotz fühlte ich mich im Trauerprozess sehr einsam. Ich schämte mich nie für unsere Trennung, musste aber oft erklären, wie es mir nach der Trennung ging. Meine wechselhaften und vielschichtigen Gefühle schienen andere nicht einordnen zu können. Zuerst befand ich mich in einem Schockzustand und nahm gar nicht wahr, was gerade passierte. Beim Auszug kamen dann alle Emotionen hoch. Für mich brach in diesem Moment alles zusammen. Einige Freundschaften (nicht alle) erlebte ich als trag­fähig. Und meine Familie war im Rahmen ihrer Möglichkeiten für mich da. Aber vieles machte ich mit mir alleine aus, denn Glauben hatte ich in dieser Zeit nicht. Allerdings sprach ich regelmäßig mit einem Seelsorger.
Mein ehemaliger Mann und ich haben es geschafft, uns gegenseitig keine Schuld zuzusprechen, dafür bin ich dankbar. Ich durfte ihm und mir selbst vergeben, wir erhielten uns die Empathie füreinander durch den Trennungsprozess hindurch. Glücklicherweise mussten wir über die Verteilung des Besitzes nicht streiten. Auch wenn ihm das Besteck einmal gehören sollte, teilten wir es vorerst untereinander auf, damit wir beide ausgestattet für einen Neustart waren. Er hatte unsere Abmachung völlig vergessen und freute sich sehr, als ich ihm das restliche Besteck – sorgfältig gepflegt – zurückgab. Er hatte in seiner WG nicht durchsetzen können, dass die Messer von Hand gespült wurden und mein Besteck wies kaum Gebrauchsspuren auf. Diese Anekdote beschreibt, wie wir uns entschieden hatten, in all dem Schmerz das Beste für den anderen zu wollen. Wir konnten immer noch miteinander lachen. Wenn ich mit seinen Anliegen sorgsam war, so war er auch mit meinen. Er unterstützte mich während meines Studiums finanziell, obwohl er dazu nicht verpflichtet war.

Wir trennten uns freundschaftlich – und doch trennten wir uns. Bis hierher waren wir alle Probleme gemeinsam angegangen. Den Trauer­prozess konnte ich nicht mit ihm teilen. Es überrollten mich Situationen, in denen ich nicht mehr klar denken, geschweige denn schlafen konnte. Ich fand große Sicherheit in Gleichmäßigkeit und Ritualen. So gingen wir gemeinsam an den Ort unserer Verlobung zurück, um uns die Ringe zurückzugeben, vielleicht etwas zu früh, aber falsch war der Gedanke nicht. Was mit einer lauten Hochzeit gefeiert wurde, ging im Stillen unter. Dabei ist dieser Schritt mindestens genauso einschneidend.

Neubeginn, ja

Irgendwann proklamierte ich den Neuanfang. Ich fragte mich, wer ich jetzt sein will, wie ich aus­sehen, wo ich wohnen und was ich lernen möchte. Und ich fragte mich, wie ich am Ende meines ­Lebens darauf zurückblicken möchte. Ich wollte im Studium einmal in Freiburg gelebt haben. Ich wollte Frisuren ausprobieren, die mein Partner schrecklich gefunden hätte. Wollte viele neue schlaue Wörter lernen, wollte Rad fahren, singen und tanzen. Entdeckte Karaoke für mich. Ich wollte meinen Zweifeln an Gott auf die Spur kommen, wozu er mir die richtigen Leute schickte.

Neben all dem Schönen, was ich entdeckt habe, ist da ein Schatten, der mich verfolgt. Ich, die immer gesund war, entwickelte ständig neue, mir bis dahin völlig unbekannte und auch chronische Krankheiten. Es leuchtet mir ein, dass es für die Entstehung von Gesundheit entscheidend ist, die eigene Situation zu verstehen und darin Sinn zu finden. Je mehr Sinn ich unserer Trennung ab­gewinnen kann, desto eher kann ich sie bewältigen und in mein neues Selbstkonzept integrieren. Mittlerweile kann ich diesem ganzen Scherbenhaufen etwas abgewinnen. Ich frage mich heute nicht mehr, warum gerade ich in Sachen Ehe gescheitert bin. Vielmehr frage ich, wozu es mir und anderen dienen kann.

Ich fand eine tröstliche Bibelstelle, die mir vor Augen hält, dass auch diese Situation endlich ist und trotzdem sein darf.
Alles hat seine Zeit. Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit (Prediger 3, 1-8, gek.).

Christina Geister ist Sozialpädagogin und lebt im Süden von Deutschland.

Bild:©Christina Geister
Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2020: Na endlich! Vom Ziel her leben!
Magazin bestellen oder PDF downloaden
Vorheriger Beitrag
Endanfänge – Nur eine kleine Geschichte
Nächster Beitrag
Wie spät ist es in meinem Leben? – Aufmerken. durchatmen. ausrichten. weitergehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.

Weitere Artikel zum Thema

Archiv