Es darf auch anders kommen: Johannes Markus –  ein Leben zwischen Herausforderung und Förderung

Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern (Apg 2,46)

So wird uns das Leben der Urgemeinde geschildert. Die Menschen, die sich nach der Pfingstpredigt des Petrus zu Jesus bekehrten, fanden sich in zahlreichen Hauskreisen wieder. Eine, die ihr Haus öffnete, hieß Maria. Sie entstammte einer jüdischen Familie, die mög­licherweise vor nicht allzu langer Zeit aus Zypern eingewandert war. Ihr Neffe war der Levit Barnabas, eine der prägenden Personen der Jerusalemer Urgemeinde. Und auch zu Simon Petrus bestand eine enge Verbindung. Als dieser wundersam aus dem Gefängnis befreit wurde, ging er zuallererst zum Haus Marias (Apg 12,12). Sie und ihre Familie gehörten also zu den tragenden Gründungs­familien der Kirche.

Vermutlich traf Petrus dort auch auf Marias Sohn, der den zweisprachigen Doppelnamen J­ohannes Markus trug. Der hebräische Name ­Johannes kommt von Jochanan und bedeutet „der Herr ist gütig“. Und der lateinische Markus meint einen Hammer oder einen starken, streitbaren Menschen.

In einer judenchristlichen Familie wuchs dieser also auf. Er begegnete dort dem Glauben, konnte ihn entdecken, hinterfragen, vertiefen. Damals wie heute ist es gar nicht hoch genug einzuschätzen, wenn Kinder eine solche Prägung erhalten. Das ist ein Schatz, auf den sie ein Leben lang zurückgreifen können.

Eine unbeantwortete Begegnung

Beim Bericht von der Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane wird uns fast beiläufig eine kleine Begebenheit geschildert:

Und ein junger Mann folgte ihm nach, der war mit einem Leinengewand bekleidet auf der bloßen Haut; und sie griffen nach ihm. Er aber ließ das Gewand fahren und floh nackt (Mk 14,51).

Wie war er dazugekommen? Er war keiner der Jünger, also musste er entweder Jesus und den Seinen heimlich hinterhergeschlichen oder den Soldaten gefolgt sein. Wir bekommen keinerlei biografische Hinweise. Nach allem, was wir wissen – oder besser, was wir nicht wissen – können wir davon ausgehen, dass es der Autor selbst ist, der sich hier schildert. Und das war eben kein anderer als Johannes Markus!

Offensichtlich umschreibt er hier seine erste Begegnung mit Jesus. Und die fand in einer recht brenzligen Situation statt. Die Stimmung war aufgeheizt, die Sache stand schlecht. Und als nach ­Jesus auch die herumstehenden Leute gefangen­genommen wurden, ergriff Johannes Markus die Flucht. Er rannte buchstäblich um sein nacktes Leben. So überraschend wie die Begegnung mit Jesus stattfand, so überraschend endete sie auch. Wir wissen nicht einmal, ob Jesus den jungen Mann inmitten des Getümmels wahrgenommen hatte. Johannes Markus jedenfalls behielt diese Nacht in starker Erinnerung, wenngleich seine Begegnung mit Jesus aufgrund der Umstände seltsam offenblieb – wie eine unbeantwortete Frage. Deren gibt es später noch viele, wie wir noch sehen werden. Vor allem in Krisen, wo sie dann noch einmal, wenn auch in ganz anderer Form, an uns herangetragen werden.

Eine herausfordernde Lage

Die Wochen und Monate gingen ins Land. Jesus war gestorben und auferstanden. Pfingsten hatte sein Wunder hinterlassen und die erste Gemeinde war gegründet worden. Das Evangelium hatte sich von Jerusalem aus verbreitet, auch bis Antiochia am Orontes. Paulus und Barnabas fanden sich dort ein und Johannes Markus konnte ebenfalls dort angetroffen werden. Offensichtlich hatte ihn sein Rückzug im Garten Gethsemane nicht davon abgehalten, sich im Dunstkreis der Urgemeinde aufzuhalten. Ob wir davon ausgehen dürfen, dass seine familiäre Prägung ihm damals in seiner Enttäuschung Orientierung und Halt gegeben hat?

Jedenfalls sollte von Antiochia aus die erste Missions­reise starten und neben Paulus und Barnabas gehörte auch Johannes Markus zum Team (Apg 12,25; 13,4f). Über die Hafenstadt Seleukia kamen sie nach Zypern, wo sie sich mutig ihrem Missionsauftrag stellten. Einige zeigten Interesse am Evangelium, andere boten erheblichen Widerstand. Es gab Wundersames und bei einem ört­lichen Statthalter auch erste Erfolge.

So kam es, dass sie ihr Revier wechselten und via Schiff an die heutige Türkisküste der Türkei ­kamen. Von dort wird berichtet:

Paulus aber und die um ihn waren, fuhren von Paphos ab und ­kamen nach Perge in Pamphylien. Johannes aber trennte sich von ihnen und kehrte zurück nach ­Jerusalem (Apg 13,13).

Hoppla – eben noch Teil des ersten Missionsteams, nun schon wieder auf der Heimreise? Und es war keine freundliche, einvernehmliche Trennung. Warum? Der knappe Bericht verrät uns keine Gründe. Es ist aber doch davon auszugehen, dass Johannes Markus sich überfordert sah. Waren es die Mühen der Reise? Der Widerspruch gegen das Evangelium? Der Widerstand von Menschen? Oder beschlichen ihn plötzlich ganz grundsätzliche Zweifel? Wir wissen es nicht. Wir kennen nur das Ergebnis – die Trennung und seinen Rückzug.

Ohne zu spekulieren können wir fragen, ob er sich wohl an die Gefangennahme Jesu erinnert hat. An diesen für ihn so bedrohlich erlebten Augenblick? Kam nun urplötzlich und auf ganz andere Weise die einst unbeantwortete Frage nach seiner eigenen Position zurück? Sollte er im Widerstand und in der Bedrohung zu Jesus und seinem Evange­lium stehen oder doch lieber weichen? Wieder befindet er sich in einem Areal von Herausforderungen. Und wieder greift er zu seiner vertrauten Handlungsweise in Krisen – zur Flucht. Wir wissen es nicht, aber möglich wäre es.

Belastungen sind Herausforderungen. Und Herausforderungen können zu Überforderungen führen. Nicht immer hält man dem Stand. Aber – Gott sei es gedankt – nicht immer ist dies das ­Ende.

Ein förderliches Umfeld

Die erste Missionsreise geht also ohne Johannes Markus zu Ende. Paulus und Barnabas kehren wieder nach Antiochia zurück. Eines Tages ent­stehen dort Lehrstreitigkeiten, ausgelöst von der Frage nach der Beschneidung. Da es zu keiner einvernehmlichen Sicht kommt, beschließt man, die Fragen den Aposteln und Ältesten in Jerusalem vorzulegen. Es kommt zum Apostelkonzil, an dem auch Paulus und Barnabas teilnehmen. Nach erzielter Klarheit kehren sie wieder zurück in die Gemeinde am Orontes, die sie ausgesandt hat. Während dieser ganzen langen Zeit hören wir nichts von Johannes Markus. Nun aber, als alle in Antiochia zurück sind, ist er auch wieder da.

Wir lesen:

Nach einigen Tagen sprach Paulus zu Barnabas: Lass uns wieder aufbrechen und nach unseren Brüdern und Schwestern sehen in allen Städten, in denen wir das Wort des Herrn verkündigt haben, wie es um sie steht. Barnabas aber wollte, dass sie auch Johannes mit dem Beinamen Markus mitnähmen. Paulus aber hielt es nicht für richtig, jemanden mitzunehmen, der sie in Pamphylien verlassen hatte und nicht mit ihnen ans Werk gegangen war. Und sie kamen scharf aneinander, sodass sie sich trennten. Barnabas nahm Markus mit sich und fuhr nach Zypern. Paulus aber wählte Silas und zog fort, von den Brüdern der Gnade Gottes befohlen (Apg 15,36-40).

Aufbruch zur zweiten Missionsreise, Aufbruch mit Hindernissen. An Johannes Markus entzündet sich der Konflikt. Und er ist so hart, dass er schließlich zur Trennung der beiden großen Männer führt. Paulus erinnert sich nur zu gut an die Flucht. Immer noch bohrt in ihm das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein. Der Kerl hat sich als zu labil erwiesen. Barnabas aber will ihm eine zweite Chance geben. Vermutlich nicht, weil Johannes Markus sein Vetter war, sondern vor allem wohl deshalb, weil Barnabas zu Recht „Sohn des Trostes“ genannt wurde (Apg 4,36).

Kein Mensch darf mit den Belastungen, Herausforderungen, Überforderungen seines Lebens ­alleine bleiben. An alledem kann man wachsen. Allerdings kaum alleine. In Krisenzeiten brauchen wir einen fürsorglichen Freund – einen Typen wie Barnabas. Einen, der uns trotz allem noch was zutraut, der uns ermutigt (so der eigentliche Sinn von Trost!) und uns weiter fördert.

Offensichtlich gab es für Johannes Markus noch eine zweite Person dieser Kategorie, Petrus. In 1 Pt 5,13 lesen wir:

Es grüßt euch aus Babylon die Gemeinde, die mit euch auserwählt ist, und mein Sohn Markus.

Petrus lässt grüßen, auch von ­Johannes Markus, der bei ihm war. Und er nennt ihn seinen Sohn. Möglicherweise war dieser ­einerzeit in Jerusalem durch ihn zum Glauben ­gekommen? Jedenfalls war Petrus nun sein geistlicher Vater.

Papias von Hierapolis, einer der frühen Kirchenväter, dessen Schriften um 120 n. Chr. entstanden sind, lässt uns wissen, dass Johannes Markus die in aramäischer Sprache gehaltenen Predigten des Petrus ins Griechische übersetzte. Und er belegt, dass dieser dann aus dessen Lehrvorträgen sein Evangelium, das Markusevangelium, geschrieben hatte.

Im Angesicht von Belastungen und Überforderungen brauchen wir alle ermutigende mütterliche oder väterliche Begleiter, wie Barnabas und Petrus es waren.

Eine gereifte Antwort

Nach den spannenden Andeutungen der Apostelgeschichte hören wir nur noch wenig von Johannes Markus. Aber was wir hören lässt interessante Rückschlüsse zu.

Da ist zunächst Paulus, der große Theologe, der auf der ersten Missionsreise von seinem jungen Mitarbeiter so enttäuscht wurde und der ihn dann auch nicht mehr auf eine Tour mitnehmen wollte. Eben jener erwähnt ihn dreimal in seinen Briefen. In Phlm 23f nennt er ihn in der Gruppe seinen Mitarbeiter. Da ging also irgendwann doch noch mal was miteinander. Dann erwähnt er ihn grüßend in Kol 4,10f. Er nennt ihn dort seinen Mitgefangenen und adelt ihn mit einem anderen zusammen: Von denen aus der Beschneidung sind sie allein meine Mitarbeiter am Reich Gottes, und sie sind mir ein Trost geworden.

Paulus respektiert jetzt Johannes Markus. Dies wird auch deutlich im letzten Paulusbrief, der uns überliefert ist:

Lukas ist allein bei mir. Markus nimm zu dir und bringe ihn mit dir; denn er ist mir nützlich zum Dienst (2 Tim 4,11).

Aus dem frustrierten Paulus ist einer geworden, der dem einst flüchtenden Missionar nun mit Wertschätzung begegnet.
Offensichtlich ist der junge Mann, der in heiklen Lebenssituationen schnell mal zum Mittel der Flucht griff, zu einer standhaften Persönlichkeit gereift.

Dies wird auch in der ersten uns erhaltenen Kirchengeschichte deutlich. Eusebius von Cäsarea schreibt um das Jahr 300, dass Johannes Markus erst Missionar in Ägypten und schließlich Bischof von Alexandrien wurde. Die altorientalische Kirche Ägyptens, die koptisch-orthodoxe Kirche verehrt ihn als ihren Gründer. Aus dem Flüchtling wurde ein Bischof. Aus dem, der sich schnell mal zurückzog, wenn es brenzlig wurde, wurde einer, der anderen im Glauben Halt gab!

Johannes Markus, dessen erster Name die grundlegende Wahrheit bezeugt, dass Gott gütig ist und dessen zweiter Name den Hinweis auf ein brauchbares und wehrhaftes Werkzeug bietet, ebendieser wird als Evangelist Markus schließlich mit dem Bild des Löwen gezeichnet. An Herausforderungen kann man wachsen – allen Überforderungen zum Trotz. Er hat zögerlich begonnen, musste Rückschläge einstecken und wurde doch ermutigend gefördert. So diente sein Leben dazu, eine bleibende Antwort auf das Evangelium zu geben.

Bild: ©VELOCIA
Brennpunkt-Seelsorge 1 / 2018: Mich überlassen oder mich überlasten
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