Burnout – und wie wir die Kurve kriegen

Gisela Stübner –

Hintergründe, Entwicklung und Prävention

Eine junge Frau sitzt erschöpft und hilflos vor mir. Zweieinhalb Jahre lebte sie als Missionarin in einem asiatischen Land und hatte mit ganzem Einsatz im Dienst gestanden. Es hat ihr viel Freude gemacht, bis sie ausgebrannt an Leib und Seele abgeholt werden musste. Ein Jahr lang versuchte sie sich zu erholen, aber ihre Seele konnte nicht mehr richtig zur Ruhe kommen. Sie kämpfte mit Selbstmordgedanken und wollte doch neu leben lernen.
„Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Ich habe zu nichts mehr Lust und möchte mich am liebsten zurückziehen…“ so berichtete eine andere, die sich immer gern einsetzte, in ihre Aufgaben investierte. Erschöpft und verbittert kämpft ein Mann darum, sich nicht völlig hängen zu lassen und Gott anzuklagen, weil er völlig frustriert wurde durch einen Vorgesetzten, der ihn nur ausgenommen hat.
Die oft gebrauchte Redewendung: „Ich fühle mich so ausgelaugt und ausgebrannt!“ deutet darauf hin, dass das Bewusstsein für Erschöpfung gewachsen ist. Wir sind sensibler geworden für dieses Phänomen. Auf der anderen Seite kann es aber auch Verwirrung stiften. Nicht jeder, der sich mal ausgebrannt fühlt, muss damit rechnen, in ein Burnout hineinzukommen.

Was ist ein Burnout?

Burnout ist die Beschreibung einer erschöpften seelischen und körperlichen Befindlichkeit. Es setzt eine länger andauernde Entwicklung voraus. Auf dem Weg der zunehmenden Erschöpfung senden unser Körper und unsere Seele Signale aus, die wir aber aus den unterschiedlichsten Gründen überhören können.

Signale unseres Körpers können sein:
• Ständige Kopf- bzw. Magenschmerzen
• Muskelverspannungen
(besonders Hals- und Schultermuskulatur)
• Verdauungsbeschwerden
• Erhöhte Anfälligkeit gegen Erkältung und Virus-Infektionen
• Chronische Schlappheit und Müdigkeit und demzufolge hoher Kaffeekonsum
• Tinnitus (ständige Geräusche im Ohr)

Signale unserer Seele wären:
• Ständig unterschwelliges Gefühl des Überfordertseins
• Gefühle und Gedanken der Resignation bis hin zur Hoffnungslosigkeit
• Das Gefühl, ausgenutzt zu werden
• Unangemessene Wutausbrüche

Manche dieser Signale können wir in stark belasteten Situationen erleben, aber wenn sie zum Dauerzustand werden und wir sie zu unterdrücken suchen, z. B. mit Medikamenten, kann es zu einer immer tiefergehenden Erschöpfung kommen, die unsere gesamte Persönlichkeit, unser Wesen und unsere Überzeugungen in Mitleidenschaft zieht. Am Ende einer solchen Entwicklung geht nichts mehr. Das Denkvermögen kann blockiert sein, die Gefühle sind wie abgestorben und der Wille scheinbar nicht mehr vorhanden. Das Gefühl einer Gottverlassenheit kann sich einstellen. „Ich bin mir selbst und Gott fremdgeworden“, so berichtete eine junge Frau in der Seelsorge.

Burnout ist ein ernstzunehmender Zustand. Jeden kann es treffen. Junge und ältere Menschen genauso wie Frauen und Männer. Es ist wichtig, die Hintergründe ernst zu nehmen. Dann kann man das Abgleiten in einen solch festgefahrenen Zustand verhindern.

Wer sind wir vor Gott?

Wir haben eine Würde

Wir sind kostbare Originale Gottes, die er erlöst und erkauft hat. Unsere Würde liegt in Gottes Zuspruch: in allen Persönlichkeitsmerkmalen sind wir wertvoll und dürfen die sein, die wir sind. Gott hat uns geschaffen und er gab uns Gaben und Grenzen. Er kennt unsere Sündhaftigkeit. Aber er selbst hat uns gerufen, erwählt, gereinigt und erneuert. Er nimmt uns an und fördert uns, damit wir immer mehr in die Bestimmung hineinwachsen, die er für uns bereitet hat.
Wir haben ein Bewusstsein über uns selbst – kein Tier besitzt diese Fähigkeit. Leben wir in diesem Bewusstsein? Kann Gott unsere Sünden abwaschen und unsere Wunden heilen? Gehen wir aufrechten Ganges über die Erde, oder leben wir noch in der Lüge der Verkrümmung?

Wir haben Gaben und Grenzen

Ob wir nun verschwenderisch mit natürlichen und geistlichen Gaben von Gott ausgestattet wurden oder mit etwas weniger (in der Regel hat jeder von uns sehr viele Gaben, die wir oftmals vor uns selbst und anderen verstecken oder sie als zu minderwertig betrachten!) – wichtig ist für jeden von uns, dass wir unsere Grenzen kennen, achten und respektieren. Das heißt nicht, dass Gott nicht auch unsere Grenzen immer wieder erweitern könnte. Aber das Schöne ist, nicht jeder muss alles können! Christian Schwarz rät in seinem Buch „Anleitung für christliche Lebenskünstler“ dazu, seine Grenzen zu feiern. Das halte ich für eine gute Idee. Menschen, die mit einem beginnenden Burnout kämpfen, sind in der Regel nicht in der Gefahr, faul und untätig zu werden. Sie sind eher geneigt, ihre Möglichkeiten zu überschreiten. Kürzlich sagte eine Frau zu mir in der Seelsorge: „Ich bin so erleichtert, dass ich mich ausklinken kann – nur, warum müssen mir das andere sagen, warum erkenne ich das nicht selbst?“

Gibt es eine Immunität gegen Burnout?

Gott hat uns die Verantwortung für unser Leben in die Hand gegeben. Wir können uns öffnen, dieser Würde entsprechend zu leben. Das kann uns zu einer gewissen Immunität gegen Burnout führen. Praktisch würde das bedeuten:
• aus der Gnade Gottes leben, Vergebung empfangen und geben, Bereitschaft entwickeln, Lernender zu bleiben, zu wachsen und zu reifen
• wahrhaftig und ehrlich sein gegenüber mir selbst und anderen
• Herausforderungen mutig und verantwortlich anpacken, aber auch Nein sagen können
• Gaben entdecken und ausleben genauso wie Grenzen erkennen und sich abgrenzen lernen
• im Vertrauen auf Gottes große Liebe und Fürsorge Gelassenheit lernen
• Humor entdecken: herzhaftes Lachen – besonders über sich selbst – befreit und löst uns vom verbissenen Denken und Handeln.

Hintergründe von Burnout

Die Hintergründe sind vielfältig, müssen aber nicht unbedingt Auslöser sein. Bestimmte innere Einstellungen und Haltungen müssen dazukommen, um in eine Burnout-Entwicklung hineinzukommen. Es ist sinnvoll, folgende Lebensbereiche einmal genauer anzuschauen:

Hektik und Zeitplanung

Das reichhaltige „Management“ einer Familienfrau, das sie kaum zum Aufatmen kommen lässt. Die hohen Erwartungen, denen Männer in Beruf, Familie und Gemeinde ausgesetzt sind. Die alleinerziehende Mutter, die mit vielen Herausforderungen konfrontiert ist. Singles, die – gerade weil sie keine Familie haben – sich zwischen den vielen Angeboten und Verpflichtungen in Beruf und Gemeinde zurechtfinden und ihren Weg finden müssen. Stellen Sie sich einmal folgenden Fragen: Kann ich auch Nein sagen? Verlange ich von mir selbst viel, ohne auf meinen Körper und Seele zu achten? Welche innere Motivation treibt mich? Was ist eigentlich mein Auftrag, den Gott mir zugedacht hat?

Erwartungen und Leistungsdenken

„Ich habe oft gedacht, das muss ich machen, das wird ja von mir erwartet, und ich hatte Angst, Ablehnung zu ernten, wenn ich den Erwartungen nicht nachkomme.“ Diese Erkenntnis wurde einer Betroffenen deutlich, als sie darüber nachdachte, wie sie in eine so große Erschöpfung hineingekommen ist.
Manchmal haben wir auch eine hohe Erwartung an uns selbst. Ein Idealbild von Perfektion und Leistung hält uns gefangen. Wir werden uns selbst gegenüber hart und unbarmherzig. Gottes gnädiger und erbarmender Blick für uns geht uns auf dem Wege verloren.

Minderwertigkeitsgefühle und -gedanken

Wer kennt sie nicht, die nagenden Gedanken und Gefühle, minderwertig zu sein. Diese Gedanken können verarbeitet werden. Bei Gott können wir zur Ruhe kommen. Werden sie jedoch zur Grundeinstellung, geraten wir in einen Zwang: wir müssen uns selbst und anderen beweisen, dass wir wertvoll sind. Die Folge: Wir meinen, immer freundlich sein zu müssen; mehr zu arbeiten als andere. Und dieser Zwang treibt zu einem enormen Energieverschleiß, der uns nicht unbedingt bewusst sein muss. „Ich dachte immer, ich dürfe mir nicht anmerken lassen, wenn es mir mal schlecht geht. Dann bin ich ja kein gutes Zeugnis…“ so eine Äußerung in der Seelsorge.

Burnout vorbeugen

Die Balance zu finden von Anspannung und Entspannung in den verschiedensten Lebensbereichen – das ist einer der wichtigsten Punkte, um Burnout vorzubeugen. Dabei geht es weniger um genügend Schlaf, Bewegung und gesundes Essen, obwohl es wichtige Dinge sind, um unseren Körper fit zu halten. Es ist mehr die innere Balance, auf die ich den Schwerpunkt legen möchte:

Besteht eine Balance zwischen Verantwortung ergreifen und loslassen? Wer trägt die letzte Verantwortung für meine Aufgaben? Meine ich, unentbehrlich zu sein? Kann ich Aufgaben abgeben oder meine ich, dass andere es nicht richtig machen?
Besteht eine Balance zwischen stark und schwach sein? Habe ich Menschen, denen ich auch meine schwachen Seiten zeige? Nehme ich mir Zeit, meine Schwachheit ernst zu nehmen? Meine ich immer stark sein zu müssen?
Lebe ich in einer Balance von Geben und Nehmen? Bin ich mir meiner Bedürftigkeit bewusst oder schäme ich mich dafür? Aus welchen Motiven gebe ich mich ganz in eine Aufgabe hinein?

Verletzungen und Enttäuschungen

Menschen können sehr verletzen und enttäuschen. Das kann im Herzen zu einem richtigen Klumpen an Groll und Bitterkeit anwachsen. Gehöre ich zu den Menschen, die ihre Wut und ihren Zorn lieber wegdrücken? Habe ich den Eindruck, dass ich niemanden verletzen und enttäuschen darf? Und verlange ich insgeheim von den anderen, dass sie es auch nicht dürfen?
Auf jeden Fall – unvergebene und nicht verarbeitete Verletzungen und Enttäuschungen rauben uns sehr viel Kraft. Und doch scheint es manchmal einfacher, alles zu unterdrücken, statt den ehrlichen Prozess der Versöhnung anzustreben und vergeben zu lernen.

Probleme und Nöte

Sie gehören zum Leben dazu. Wenn aber meine Probleme in einer ständigen Ablehnung und Mich-Unterdrückt-Fühlen begründet sind, wenn vielleicht noch unklare Beziehungen am Arbeitsplatz, in der Familie und zu Freunden dazukommen, wenn also alles ungeklärt ist und man sich unverstanden oder gar missbraucht fühlt, kann einen das in die Verzweiflung treiben.
Ständige Krankheiten bei uns selbst oder unseren Angehörigen können zermürben. Eine Kette von notvollen Ereignissen oder gar der Tod des Ehepartners, eines Kindes oder eines Freundes können uns in viele ungelöste Fragen stürzen.
Und wenn wir nun noch von uns selbst verlangen, dass wir mit allem gut umgehen können, vielleicht sogar alle Schuld auf uns nehmen, uns keine Zeit zur Trauer geben und uns nicht abgrenzen können, führt das in eine immer tiefergehende Erschöpfung. Vielleicht haben wir nie gelernt, uns konstruktiv zur Wehr zu setzen, bleiben in einer Opferhaltung, unterdrücken Schmerz und Zorn, der uns je länger je mehr ausbrennt.

Mangelnde Identität

Ein weit verbreitetes Problem. Wir rutschen in vieles einfach hinein, lassen uns leben und meinen, aus unserer Rolle nicht aussteigen zu können. Wir machen uns nicht die Mühe herauszufinden, was wir eigentlich möchten, was uns ausmacht und für welche Aufgaben und Herausforderungen wir in dieser Welt stehen wollen. Unsere Identität verändert sich im Laufe des Lebens bzw. muss den jeweiligen Umständen neu angepasst werden. Wir werden unterschiedliche Schwerpunkte setzen, wenn wir 20, 30, 40 oder 50 Jahre alt sind.

Burnout-Entwicklung

Kommen wir nun zu den inneren Vorgängen der Burnout-Entwicklung, die sich in unserer Seele abspielen können. Da jeder Mensch ein Original ist, kann es gut sein, dass wir uns nur in wenigen Punkten wiederfinden. Aber es kann eine Anregung sein, über die eigene Situation nachzudenken.
Meine Einteilung in 12 Stadien zeige ich in Anlehnung an das (inzwischen vergriffene) Buch „Burnout“ von Herbert Freudenberger/Gail North auf, da mir sehr viele Parallelen in der Seelsorge begegnet sind. Die ersten 6 Stadien werde ich etwas ausführlicher erläutern. Die letzten 6 Stadien werde ich nur andeuten. Sie bedürfen in der Regel einer fachärztlichen stationären Begleitung.

Stadium 1: Zwang, sich beweisen zu müssen

Dieses Stadium wird in den seltensten Fällen von uns selbst bemerkt. Wir müssen uns beweisen als guter Ehemann, Familienvater, Arbeitskollege, Mutter, Familienfrau, im Beruf. Es dürfen uns nicht sehr viele Fehler unterlaufen. Eine gewisse Unbarmherzigkeit mit Schwächen anderer kann uns eigen sein. Wir kriegen sehr viel „auf die Reihe“ und erwarten das auch von anderen – vor allen Dingen in Bereichen, die wir für wichtig halten. Was geschieht im Laufe der Zeit mit dieser inneren Haltung? Nicht der normale Stress, der das Leben mit sich bringt, steht im Vordergrund, sondern eine allmählich immer größer werdende verbissene Entschlossenheit, Erfolg und Leistung zu bringen. Wir denken, das würde von uns erwartet bzw. wir erwarten es von uns selbst.
Nun zeigt die Erfahrung, dass wir immer weniger Erfolg haben, je verbissener wir die Sache angehen, und es kommt zu noch mehr Druck und Fehlschlägen.

Stadium 2: Verstärkter Einsatz

Rückschläge und Müdigkeit werden nicht als Signal zum Zurücktreten wahrgenommen, sondern zwingen uns zu verstärktem Einsatz. Dazu kann sich die Haltung einschleichen, alles selbst machen zu müssen. Man fürchtet, die Kontrolle zu verlieren, wenn man Verantwortung an andere weitergibt. Andere halten uns für einen Menschen, der konsequent seine Ziele verfolgt. Das löst eher Bewunderung aus.
Gott möge uns Freunde schenken, die uns hinterfragen und uns zum Nachdenken anregen:
• Was ist eigentlich los mit dir?
• Kann es sein, dass du dir zu viel zumutest?
• Welche Verantwortungen könntest du abgeben?
• Was solltest du verändern? Wo liegen deine Gaben? Wo deine Grenzen?

Ein resigniertes „Da kann man eben nichts machen“ treibt uns in das nächste Stadium.

Stadium 3: Vernachlässigung eigener Bedürfnisse

Ich reduziere meine Aufmerksamkeit für mich selbst und meine persönlichen Bedürfnisse. Die kleinen Pflichten und Freuden des Alltags werden mehr und mehr als Störung empfunden. Rechnungen werden vergessen, Kleider nicht aus der Reinigung geholt, Eingekauftes nicht verstaut, Telefonanrufe nicht beantwortet. Ich übersehe die Geburtstage von Freunden, habe „einfach keine Zeit dafür“ und verschiebe vieles auf später. Es entstehen endlos lange Listen im Inneren, denen ich nun beginne, hinterherzulaufen. Man gönnt sich weniger. Redewendungen wie „Ich würde gern…, aber ich schaff‘s einfach nicht“ werden immer häufiger. Dieses Stadium wird nun schon auffälliger. Hier einige Kennzeichen:
• Schlechte Gewohnheiten und Sünden, die man überwunden glaubte, können wieder aufbrechen;
• Schlafstörungen, Heißhunger auf Süßes, Vernachlässigung der Körperpflege, der Ernährung oder vermehrtes Essen (Stress-Essen);
• Konzentrationsstörungen;
• Der Sinn für Humor schwindet, alles wird verbissen ernst. Die nötige Distanz zum alltäglichen Stress geht verloren.

Was wäre hier zu tun?

Urlaub nehmen, Terminstopp, ausgiebiges Bad, schöner Spaziergang, wieder anfangen zu joggen. Darüber hinaus erkennen, welche Aufgaben ich abgeben kann. Vielleicht ist es sogar gut, ein Sabbatjahr einzulegen. Es ist höchste Zeit geworden.
Dann mich den Fragen stellen, die wichtig sind: Wie konnte es dazu kommen? Was ist eigentlich mit mir los? Was treibt mich an? Welche Motive stecken dahinter? Wo lade ich mir zu viel auf? Wer bin ich? Wozu lebe ich? Was ist eigentlich mein Anliegen, mein Auftrag von Gott?
Dazu kann man die Hilfe von Freunden oder einem Seelsorger/Therapeuten in Anspruch nehmen. Und es wäre gut, eine Liste der nötigen Aufgaben, die man versäumt hat, aufzustellen und nacheinander abzuarbeiten.

Stadium 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen

In diesem Stadium fallen einem gewöhnlich innere Konflikte und ein unausgeglichenes Verhalten auf. Immer wieder kreisen die Gedanken um die Gesundheit – um Schlaf, Ernährung, Bewegung und Energiemangel. Man fragt sich, warum man so verstimmt ist, warum die Erkältung nicht weggeht, warum man sich nicht richtig auf der Höhe fühlt, ausgebeutet fühlt, wo man doch offensichtlich alles „ganz richtig“ macht. Zeichen chronischer Müdigkeit stellen sich ein. Die ersten Glaubenszweifel nagen an einem. Man wird auf Gott wütend, der einem so viel zumutet. Diese Wut wird aber wieder verdrängt, weil sie ja nicht richtig ist. Die Vernunft sagt, dass wir einen Schritt zurücktreten sollten. Aber hier ist der Knackpunkt: Menschen, die in ein Burnout hineintreiben, wollen gerade dieser Tatsache nicht ins Auge sehen, sondern versuchen, sie vor sich und anderen zu verbergen.

Warum? Die Antwort darauf ist vielschichtig:
• Unverarbeitete Erlebnisse, denen man nichtbegegnen will;
• zu hohe Erwartungen an sich selbst, die man meint, nicht korrigieren zu dürfen;
• verdrängte Verletzungen und Enttäuschungen, die man sich nicht eingestehen will;
• falsche Gottesbilder, verzerrte Frömmigkeit;
• Stolz;
• nicht gelungene Persönlichkeitsreifung.

„Ich dachte, ich könne mir das Gefühl von Schwäche, ja generell meine Gefühle nicht eingestehen. Ich hatte den Eindruck, damit nicht umgehen zu können,“ berichtet ein Mann in der Seelsorge.
Eine Frau hatte einen sexuellen Missbrauch völlig verdrängt und arbeitete, um ihre tiefe Verwundung und Minderwertigkeit auszugleichen, bis zum körperlichen und seelischen Zusammenbruch.
Eine Mutter von drei Kindern berichtete, wie sie durch immer wieder auftretende Panikattacken von Gott „gepackt“ wurde, dass sie sich ehrlich ihrer Situation stellen musste. Es begann eine schwere, aber lohnenswerte Zeit, in der sie nach und nach lernte, ihren Wert nicht von ihrer Leistung abhängig zu machen, sondern zu entdecken, dass sie ein wertvoller Mensch ist, auch wenn sie nicht alle Aktivitäten in der Gemeinde mitmacht.

Stadium 5: Umdeutung von Werten

Was einem wirklich wichtig ist im Leben, wird nicht mehr richtig wahrgenommen. Gott ist mir plötzlich ganz fern gerückt. Der Glaube beginnt zu zerbrechen. Das Gefühl der Angst, der Panik und Verzweiflung bricht immer wieder in mir auf. Beziehungen, dir mir bisher wichtig waren, werden zur Last. Möchte jemand etwas mit mir besprechen und einen Rat haben, fühle ich mich bedrängt und überfordert. Das Leben wird freudlos, und ich fühle mich frustriert und abgenervt bei Kleinigkeiten. Vergangenheit und Zukunft werden wegen des ständig lästigen Druckes weggeschoben, alles findet in der Gegenwart statt.
„Im Moment habe ich keine Zeit…“ wird zur Angewohnheit. Probleme mit Ehepartnern tauchen auf, Missverständnisse sind an der Tagesordnung. Kinder, die man bisher liebte, werden mit ihren kleinen Fragen und ihrem sprudelnden Wesen weggeschoben. Das Einfühlungsvermögen lässt nach, negatives Denken, Klagen und Nörgeleien bestimmen den Alltag und die Beziehungen. Der Körper reagiert mit vielerlei kleinen Krankheiten. Man spürt, dass man sich nicht mehr entspannen kann.
Der Wert des Menschen orientiert sich mehr und mehr an der Leistung. Also sage ich mir: „Wenn ich das noch geschafft habe, dann geht es wieder aufwärts…“ Alles andere ist im Moment zweitrangig.

Stadium 6: Verstärkte Verleugnung der auftretenden Probleme

Nun muss natürlich immer stärker verdrängt und verleugnet werden. Man nimmt sich das nicht bewusst vor, sondern schützt sich vor den Schattenseiten und Anforderungen des Lebens, indem man Empfindungen, starke Gefühle, Ängste oder Enttäuschungen verleugnet.
Das Gefühl der Einsamkeit und Isolation nimmt zu. Man funktioniert zwar noch, ist aber immer weniger daran beteiligt. Man stellt das selbst fest, ist aber hilflos, etwas dagegen zu unternehmen. Man fühlt sich ausgebrannt, erschöpft, möchte immer stärker fliehen und weigert sich, auch kleinere Verantwortungen zu übernehmen. Spätestens in diesem Stadium sucht man Hilfe.

Alle weiteren Stadien benötigen einen Klinikaufenthalt, weil man das eigene Leben nicht mehr geregelt bekommt und immer stärker werdende Suizidgedanken hat.

Stadium 7 – 12

Die letzten Stadien sind von immer stärkerem Rückzug gekennzeichnet. Der Mensch verändert sich spürbar, zieht sich vom Leben und von sich selbst zurück, spürt seine Gedanken und Gefühle kaum noch, wird apathisch und antriebslos. Gleichzeitig wird der Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, immer größer. Er sieht keine Hoffnung mehr. Eine große innere Leere breitet sich in seinem Innern aus und er empfindet sich buchstäblich als „leere Hülle“.
Die Burnout-Entwicklung kann also harmlos beginnen, aber in einer großen Katastrophe enden. Doch es gibt Hoffnung. Keiner muss alle diese Stadien durchlaufen. Jeder kann zu jedem Zeitpunkt aussteigen, wenn er lernt, sein Leben zu achten und seine Würde, die Gott ihm gegeben hat, neu zu begreifen.

Wenn Sie sich in den ersten Stadien wiedergefunden haben, dann nehmen Sie Ihre Situation ernst. Beginnen Sie zu überlegen, was Sie ändern können. Die folgenden Punkte für die Prävention eignen sich auch für Kurskorrekturen. Wenn Sie sich in den Stadien 4 – 6 wiedergefunden haben, nehmen Sie Ihre Situation noch ernster. Suchen Sie seelsorgliche oder therapeutische Beratung und lassen Sie sich krankschreiben. Je früher Sie auf Ihre Situation reagieren, umso größer ist die Möglichkeit, ein tieferes Ausgebranntsein abzufangen. Denn die Erfahrung zeigt, je tiefer unsere Seele „abgebrannt“ ist, um so länger dauert der Weg der Veränderung und Heilung.
Werden Sie ehrlich vor sich selbst und vor Gott. Jesus sagt: Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch freimachen. (Joh 8) Das gilt auch für das ehrliche Eingestehen, mich selbst beweisen zu müssen; für den Wunsch, alles im Griff haben zu wollen; für alle Verbissenheit, alles richtig machen zu wollen. Wenn Sie damit vor Gottes Angesicht kommen, wird er Ihnen als liebevoller Vater begegnen. Ihre Perspektiven werden zurechtgerückt. Wir brauchen in der Regel einen Gesprächspartner, der uns unsere Augen öffnet für unsere Situation und Einstellung.

Wie sieht Gott uns?

Mit barmherzigen und liebevollen Augen. Er verurteilt uns nicht, sondern er möchte uns auffangen. Er kennt unsere Einstellungen und Haltungen. Er möchte uns in bisher nie gekannter Weise begegnen. Er möchte diese Krise in Segen verwandeln. Das geschieht nicht in einem Augenblick. Nein, es kann Wochen, Monate und sogar Jahre dauern. Aber es lohnt sich.

Prävention von Burnout

Einige praktische Anregungen, die ein weiteres Abgleiten in ein Burnout verhindern können und die ersten Stadien abfangen:

1. Ab und zu einen Schritt zurücktreten

Es kommt auf die Perspektive an: Wenn ich z. B. ein Gemälde erfassen will, muss ich oftmals einen Schritt zurücktreten. Wenn ich dicht davorstehe, erfasse ich nicht das Gesamtbild. So kann es auch mit unserem Leben, mit unseren Aufgaben und unserem vollen Terminkalender sein. Wir haben die Gesamtsicht für unser Leben und die große Linie Gottes für uns aus den Augen verloren und brauchen Abstand, um das neu wahrzunehmen. Das bedeutet z. B. Urlaub machen mit dem Ziel, die eigene Situation ehrlich unter die Lupe zu nehmen; eine Kur beantragen; unbezahlten Urlaub nehmen.

2. Mit dem Verleugnen aufhören

Die eigenen Motive erforschen und sich für eine Veränderung der Situation öffnen – das braucht Mut zur Wahrheit. Die Angst erkennen, dass ich nicht als Versager dastehen möchte. Aber genau diese Angst verhindert nötige Kurskorrekturen, die ein weiteres Ausbrennen verhindern würden.
Darum die ehrliche Frage: Wie sieht es wirklich aus? Was überfordert mich? Was fällt mir besonders schwer? Womit möchte ich am liebsten aufhören? Inwiefern leiden andere unter meiner Überforderung (Familie, Freunde, Kollegen…)? Was setzt mich am meisten unter Druck und was verkrafte ich eigentlich gar nicht gut?

3. Isolation vermeiden

Haben Sie sich in manchen Bereichen zurückgezogen? Denken Sie, Sie müssen das alles alleine hinkriegen? Fühlen Sie sich alleingelassen und missverstanden? Dann suchen Sie das Gespräch mit Freunden, mit einem Seelsorger. Treten Sie die Flucht nach vorn an, damit andere Ihnen helfen können, zur inneren Klarheit zu kommen. Aller Rückzug birgt die Gefahr in sich, noch tiefer in ein verbissenes Arbeiten zu verfallen, so dass sich unbemerkt eine Bitterkeit in Ihnen ausbreitet und verletzend wird für die Menschen, die Sie am meisten lieb haben.

4. Die Lebensumstände ändern

Das ist leichter gesagt als getan. Aber man bedenke dabei, früher oder später wird man vielleicht dazu gezwungen, weil es nicht mehr anders geht.
Welche Faktoren in meinem Umfeld treiben mich weiter in die Erschöpfung? An welchen Stellen sollte ich Dinge aus der Hand geben? Wo sollte ich kürzer treten? Das kann für Sie selbst unangenehm und für andere belastend sein. Aber die Erfahrung zeigt, dass sich oftmals Lösungen auftun, wenn man tatsächlich sagt, dass man diese oder jene Aufgabe nicht mehr übernimmt. Und wenn das nicht der Fall ist? Manche Projekte sterben, damit andere entstehen können.

5. Die Hintergründe entdecken

Es ist eine Binsenweisheit, dass wir Menschen dazu neigen, uns erst dann näher mit einem Problem zu beschäftigen, das uns ganz persönlich betrifft, wenn wir nicht mehr ausweichen können. Das gilt besonders für die voll engagierten Leute, die Aktiven in Beruf, Familie und all den wichtigen Interessen, die wir mit ganzem Einsatz verfolgen. Wenn wir also spüren, wir sind erschöpft, liegt eine große Chance darin, unser Leben zu überdenken:
• Wo sind Enttäuschungen, die ich nicht verkraftet habe?
• Welche Verletzungen stecken noch wie Pfeile in meinem Herzen?
• Werde ich gelebt von all den vielen Verpflichtungen und warum?
• Verfolge ich noch die Ziele, die ich mir für mein Leben vorgenommen hatte?
• Wo liegt wirklich die Wahrheit und wer kann sie mir kompetent zeigen?

6. Nein sagen lernen

Vielleicht gehören Sie zu den Menschen, die sehr schnell Ja sagen, wenn sie etwas gefragt werden. Vielleicht denken Sie sogar, dass Sie auf diese Weise ganz für Gott da sein wollen. Ihre Hingabe an Gott ist gut, aber Gott gab Ihnen auch Grenzen, die Sie selbstverantwortlich erspüren sollten. Vielleicht haben Sie den Eindruck, ein Ja wird von Ihnen erwartet und Sie haben gar nicht die Wahl? Das mag vielleicht sein, aber auch hier gab Gott Ihnen die Würde, eigenverantwortlich zu entscheiden. Wenn Sie ab und zu Nein sagen, gewinnen Sie mehr Profil und können umso freudiger wieder Ja sagen zu neuen Aufgaben und Herausforderungen.

7. Meine Werte überprüfen

• Welche Werte finde ich wichtig?
• Lebe ich sie in meinem Leben?
• Worauf möchte ich besonders achten, dass es nicht zu kurz kommt – und was muss ich dafür loslassen?
• Treibt mich der Wunsch nach Anerkennung, vieles zu leisten und mich zu engagieren, oder mein persönliches Anliegen und Gottes Auftrag?
Manche Menschen leben mit einem nagenden Schuldgefühl. Sie meinen, sie müssten dies tun, hätten jenes tun sollen. Gott lädt uns ein, bei ihm zur Ruhe zu kommen. Er hat ein Angebot und Werte, die sogar über den Tod hinausreichen. Seine Liebe ist bedingungslos. Er steht mit offenen Armen da und möchte uns von dem verzweifelten Bemühen, vor Menschen gut dastehen zu müssen, lösen und zur Gelassenheit führen.

8. Das persönliche Tempo finden

Beobachten Sie sich, wie sie vor einer Ampel stehen oder hinter einem Menschen herfahren, der in der Innenstadt konsequent 40 Stundenkilometer fährt. Es kann für Sie eine große Herausforderung sein, Geduld für das Tempo eines anderen bzw. der Ampelanlage aufzubringen. Vielleicht gibt es in Ihrem Leben aber auch Stellen, bei denen Sie nicht für die „Überholspur“ geschaffen sind. Situationen, in denen sie langsamer sind, mehr Zeit brauchen als andere. Schaffen Sie es, dazu zu stehen oder überfahren Sie sich selbst? Oder haben Sie Angst vor der Ungeduld anderer und setzen sich deshalb selbst unter Druck?

9. Die Bedürfnisse erkennen, wahrnehmen und verantwortlich damit umgehen lernen

Es ist tatsächlich so: Wir sind bedürftige Menschen! So hat Gott uns geschaffen. Wir haben viel zu geben, haben Kraft und Stärke. Aber wir werden immer auch bedürftig bleiben. Unser Körper hat seine Bedürfnisse – und wie oft wird er sehr respektlos behandelt. Unsere Seele sehnt sich nach Liebe, Zuwendung und Fürsorge. Unser Geist möchte sich auch mit Dingen beschäftigen, die nicht nur dringlich und notwendig für die Arbeit sind.
Es ist richtig, dass wir uns nicht von unseren Bedürfnissen leiten lassen müssen. Wir haben die Kraft von Gott bekommen, sie auch freiwillig zurückzustellen, wenn es um seine Sache geht. Aber das wird kein Dauerzustand sein, sonst würde der Schöpfer sein Geschöpf missbrauchen. Gott lädt uns ein, mit uns selbst gut umzugehen, ohne dass wir uns gleich zu einem egoistischen auf uns selbst bedachten Menschen entwickeln.
Was braucht Ihr Körper? Wonach sehnt sich Ihre Seele? Setzen Sie sich hin und beginnen Sie zu träumen. Danach könnten Sie einen Traum verwirklichen.

10. Sinn für Humor neu entdecken (oder überhaupt erst mal entdecken)

„Die junge Kellnerin stolpert und gießt einem älteren Gast etwas von der heißen Soße über die Glatze. Der Gast fährt herum, betastet seinen Kopf und fragt erstaunt: Glauben Sie wirklich, dass das noch hilft?“ Wann haben Sie das letzte Mal herzhaft gelacht? Nein, nicht unbedingt über andere, sondern über sich selbst? Erkennen Sie noch die Komik in einer bestimmten Situation? Haben Sie Distanz zu Ihren Aufgaben oder nehmen Sie alles sehr ernst?
Ich lade Sie ein, einmal etwas Verrücktes zu machen – vielleicht etwas, was Sie schon immer mal machen wollten. Nehmen Sie Ihren Ehepartner mit, wenn Sie mögen, oder einen Freund oder eine Freundin.

Burnout – eine Erfahrung, die uns in eine tiefgreifende Krise stürzt. Und doch kann es gleichzeitig zu einer entscheidenden Wende für unser Leben werden. Gönnen Sie sich Zeit und die Muße, darüber nachzudenken, wie Sie Ihr Leben gestalten wollen. Steigen Sie aus der Resignation aus! Es geht nicht nur darum, weniger zu tun, sondern zu fragen, wie ich es tue, welche Motivation mich treibt.

Gisela Stübner ist Gründungsmitglied und Leiterin der Lebensgemeinschaft „Neue Hoffnung e.V.“ in Marburg-Elnhausen, die Missionare und hauptamtliche Mitarbeiter im christlichen Dienst seelsorgerlich begleitet und unterstützt. Die examinierte Krankenschwester und ausgebildete christliche Beraterin (JACP) arbeitet seit vielen Jahren mit Menschen, die am Burnout-Syndrom leiden.

Bild: ©goegi / photocase
Brennpunkt-Seelsorge 1 / 2018: Mich überlassen oder mich überlasten
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