Aufbruch statt Abbruch – Sich auf das Kommende freuen

Michael Neubert –

Ihr seid vor dreieinhalb Jahren von Reichelsheim nach Reudnitz gezogen. Das war nicht euer erster Abschied. Welche Stationen liegen bereits hinter euch?

Bis Anfang 2012 haben wir in einem ganz normalen Setting in der sächsischen Kleinstadt Lichtenstein gelebt: Familie, Arbeit, Gemeinde, Freundeskreis usw. Ende 2011 hatten wir den Eindruck, dass für uns ein Aufbruch dran ist und dachten an ­einen Weg, der aus mehreren Stationen bestehen könnte. Begleitet hat uns das Bild einer Pilgerreise bzw. auch der Gedanke an Abraham, der aus seinem Heimatland gerufen wurde, ohne genau zu wissen, wohin die Reise geht.
Von 2012 bis 2013 waren wir für knapp 15 Monate auf einer Missionsstation in Kenia und sind von dort aus bei der OJC in Reichelsheim gelandet. Seit Anfang 2017 leiten wir nun das Haus Reudnitz, ein christliches Gästehaus in Ostthüringen.

Gab es Abschiede in deinem Leben, die schwerer waren als andere?

Der Abschied aus Kenia war besonders schwer. Zum einen sicher, weil ein Zurück dorthin nicht so einfach möglich ist und auch die Gelegenheiten zur Aufrechterhaltung der entstandenen Beziehungen nur begrenzt sind. Zum anderen nahmen wir aber auch Abschied aus einer völlig anderen Lebenskultur mit anderen Prioritäten und Schwerpunkten, die uns – insbesondere nach Jahren der starken ­beruflichen Anspannung und wenig Familien­zeiten – sehr gut getan hatte. Das loszulassen und sich bewusst wieder in eine viel stärker leistungsorientierte Gesellschaft hinein zu begeben, ist uns nicht leicht gefallen – wenngleich wir uns natürlich auch auf die Annehmlichkeiten eines deutschen Kontextes gefreut haben.

Was hat dir das Abschiednehmen erleichtert?

Als ich am Tag unserer Hochzeit mit meinen ­Sachen aus meinem Elternhaus auszog, fragte mich eine Nachbarin, wie ich mich dabei fühle. Ich spürte an der Art der Frage, dass sie jetzt eine wehmü­tige Antwort von mir erwartete. Dies konnte ich ihr aber nicht bieten, denn meine Freude auf das Kommende überwog allen sicher auch irgendwo vorhandenen Abschiedsschmerz. Aber eines ist klar: Abschied fällt leichter, wenn es sich um Aufbruch und nicht um Abbruch handelt.
Ein Bild ist mir hier hilfreich geworden: Konfrontiert man ein Kind, das gerne Roller fährt, mit der Tatsache, dass es eines Tages nicht mehr Roller fahren wird, wird dies Unverständnis, Widerwillen, (Abschieds-)Schmerz und Trauer hervorrufen. Wenn das Kind aber zum Jugendlichen herangewachsen ist und einen Moped-Führerschein besitzt, wird es den Roller nicht mehr sonderlich vermissen. Ich kann das betrauern, was ich loslassen, aufgeben muss, aber ich sehe auch auf das Gute im Kommenden und freue mich darauf. Das Leben als Entwicklung zu verstehen, hilft mir, mit Abschieden umzugehen. Gott möchte uns formen und uns in eine tiefe Gemeinschaft mit Ihm führen.

Was bleibt, wenn man geht?

Schön ist immer, wenn nach einem Abschied andere an dem weiterbauen, was man selbst eingebracht hat, und nicht alles rückgängig gemacht wird – so, als wäre man nie da gewesen.
Ich freue mich, wenn es nach mir noch viel besser läuft, als mit mir; aber bin dankbar, wenn dies nicht als Alternative, sondern als Fortsetzung zu dem Beitrag, den ich leisten konnte, wahrgenommen wird.

Du hast gesagt, dass das Etappen sind, die aufeinander aufbauen, es also eine Entwicklung ist. Was entwickelt sich da bei dir? Bei euch?

Als sich abzeichnete, dass wir die OJC in Richtung Reudnitz verlassen würden, war uns ganz wichtig, dass wir nicht weggehen, sondern weitergehen. Wir hatten die Gewissheit, dass Gott uns auf etwas vorbereiten möchte, auch wenn wir noch nicht genau wussten, auf was. Mit dem Ruf nach Reudnitz wurde dies klarer und im Rückblick auf die vergangenen dreieinhalb Jahre können wir nur staunen, mit wie vielen Dingen uns Gott auf der zurückliegenden Pilgerstrecke ausgestattet hatte, die wir hier sehr gut gebrauchen können.
Es war und ist unser Anliegen, all das Gute, das wir empfangen und erleben durften, jetzt in einem anderen Kontext weiterzugeben, zu multiplizieren. Mit diesem Ansatz sind wir nach Reudnitz aufgebrochen und sind dankbar, zu sehen, wie nun auch hier eine kleine Lebens- und Dienstgemeinschaft entstehen darf.

Ist Reudnitz möglicherweise eure Zieletappe? Seid ihr angekommen?

Ein „Nein“ könnte unsere Gefährten aufschrecken, weil es so klingt, als würden wir auf gepackten Koffern sitzen – das tun wir nicht!
Aber ein „Ja“ würde es auch nicht treffen, weil es erstens anmaßend wäre (nicht wir entscheiden über die Etappen, die möglicherweise noch vor uns liegen), zweitens – sich einzurichten nicht unserer ­Lebenshaltung entspricht – und wir drittens in der Hoffnung leben, dass Gott mit uns noch nicht am Ende ist. Und selbst wenn es für uns geografisch keine Veränderung mehr gäbe, haben wir doch „hier keine bleibende Stadt“; sind also immer im Vorletzten unterwegs – angekommen sind wir erst im Himmel.
Es ist unsere Hoffnung, dass wir so lange hier leben und arbeiten können, bis alles in guter Weise an ­andere weitergegeben werden kann und wir von Gottes Geist weiter geformt und geprägt werden für Aufgaben und Orte, die möglicherweise danach für uns dran sind. Ideen gäbe es da schon einige.

Michael Neubert lebte von 2014 bis 2017 mit Elisabeth und drei Kindern in der OJC-Gemeinschaft. Heute leitet er die
Christliche Ferienstätte Reudnitz. Die Fragen stellte Birte Undeutsch.

Bild: Lindethal / photocase

 

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